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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unterschoben jedoch den Plan nun der Freimaurerei insgesamt.
    Gegenoffensive der Baconianer. Bei Durchsicht aller Texte der liberalen und antiklerikalen Polemik hatten wir entdeckt, daß sämtliche einschlägigen Autoren, von Michelet und Quinet bis Garibaldi und Gioberti, die Verschwörung den Jesuiten zuschrieben (vielleicht stammte die Idee von dem Templer Pascal und seinen Freunden). Populär wurde das Thema dann mit dem Juif errant von Eugène Sue und dessen Bösewicht Pater Rodin, dem Inbegriff der jesuitischen Weltverschwörung. Doch als wir bei Sue suchten, fanden wir noch weit mehr: einen Text, der aussah, als wäre er Wort für Wort — aber ein halbes Jahrhundert vorher — von den Protokollen abgeschrieben, nur eben mit den Jesuiten an-
    * Voltaire selbst ist als Jesuit gestorben: hatte ihm das wohl geschwant?
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    stelle der Juden. Es handelte sich um das Schlußkapitel der Mysteres du Peuple. Hier wurde der teuflische Plan der Jesuiten bis ins letzte verbrecherische Detail dargelegt in einem Schreiben des Jesuitengenerals Roothaan (eine historische Figur) an Pater Rodin (die genannte Romanfigur aus dem Juif errant). Rudolf von Gerolstein (der Held aus den My-stères de Paris) gelangt in den Besitz dieses Schreibens und enthüllt es den Demokraten: »Sehen Sie, lieber Lebrenn, wie gut dieser höllische Plan erdacht worden ist, welch furchtbare Leiden, welch grauenhafte Beherrschung, welch schrecklichen Despotismus er für Europa und die Welt bereithält, falls er gelingt...«
    Es klang wie das Vorwort von Nilus zu den Protokollen.
    Und Sue schrieb den Jesuiten das Motto zu (das sich in den Protokollen wiederfindet, wo es den Juden zugeschrieben wird): »Der Zweck rechtfertigt die Mittel.«
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    Niemand wird von uns verlangen, daß wir die
    Belege noch weiter vermehren, um zu beweisen,
    daß dieser Rosenkreuzer-Grad auf geschickte
    Weise von den geheimen Oberen der Freimaure-
    rei eingeführt worden ist... Die Identität ihrer Lehre, ihres Hasses und ihrer sakrilegischen
    Praktiken mit denen der Kabbala, der Gnostiker
    und der Manichäer enthüllt uns die Identität der Urheber, nämlich der kabbalistischen Juden.
    Mons. Léon Meurin, S.J., La Franc-Maçonnerie, Synagogue de Satan, Paris, Retaux, 1893, p. 182
    Als die Mysteres du Peuple erschienen, sahen die Jesuiten, daß die Ordonation jetzt ihnen zugeschrieben wurde, und verlegten sich auf die einzige offensive Taktik, die noch niemand eingeschlagen hatte: Sie griffen auf den Brief von Simonini zurück und schrieben die Verschwörung den Juden zu.
    1869 veröffentlicht Gougenot de Mousseaux, bekannt als Autor zweier Bücher über die Magie des achtzehnten Jahrhunderts, das Pamphlet Les Juifs, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens, in dem er behauptet, die Juden benutzten die Kabbala und seien Teufelsanbeter, denn eine geheime Abstammungslinie verbinde Kain direkt mit den Gnostikern, mit den Templern und den Freimauerem. De Mousseaux erhält einen speziellen Segen von Pius IX.
    Aber der von Sue zum Roman verarbeitete Große Plan wird auch noch von anderen umgeschrieben, die keine Jesuiten sind. So gibt es eine schöne Geschichte, fast eine Krimi-nalstory, die sehr viel später passierte: 1921, lange nach dem Erscheinen der Protokolle, entdeckte die Londoner Times (die sie zunächst sehr ernst genommen hatte), daß ein in die Türkei geflohener russischer Ex-Grundbesitzer von einem nach Konstantinopel geflohenen Ex-Offizier der zaristischen Geheimpolizei eine Handvoll alter Bücher gekauft hatte, dar-584
    unter eines ohne Deckblatt, auf dessen Rücken nur »Joli«
    stand, aber das ein auf 1864 datiertes Vorwort hatte und die wörtliche Quelle der Protokolle zu sein schien. Die Times stellte Recherchen im Britischen Museum an und fand das Original: ein Buch von Maurice Joly mit dem Titel Dialog aux enfers entre Machiavel et Montesquieu, erschienen in Brüssel (aber mit der Ortsangabe Genève) 1864. Maurice Joly hatte nichts mit Crétineau-Joly zu tun, aber die Analogie war immerhin bemerkenswert, irgendwas würde sie schon bedeuten.
    Jolys Buch war eine liberale Satire auf Napoleon III., in der Machiavelli, der den Zynismus des Diktators repräsentierte, in der Hölle mit Montesquieu debattierte. Joly war für diese revolutionäre Initiative eingesperrt worden, hatte fünfzehn Monate im Gefängnis gesessen und 1878 Selbstmord begangen. Das Programm der Juden in den Protokollen erwies sich als beinahe wörtlich abgeschrieben von dem,

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