Das Foucaultsche Pendel
Bett ist leer. Daraufhin geht der 183
Arzt wieder nach Hause, und meine Kollegen finden bloß das, was Sie hier sehen. Sie befragen den Alten und den Portier, mit dem Ergebnis, das Sie kennen. Wo sind die zwei Herren geblieben, die um zehn mit dem Ardenti raufgegan-gen waren? Keine Ahnung, sie konnten auch zwischen elf und eins gegangen sein, und niemand hätte es gemerkt. Waren sie noch im Zimmer, als der Alte reinkam? Keine Ahnung, er war nur eine Minute drin und hat weder in die Küchenecke noch ins Bad gesehen. Hätten sie sich mit der Leiche verdrücken können, als die beiden Unglücksraben draußen waren, um Hilfe zu holen? Schon möglich, es gibt eine Außentreppe, die zum Hof führt, und von da kommt man durch eine Hintertür in eine Seitenstraße. Aber vor allem, war überhaupt eine Leiche dagewesen, oder war der Oberst womöglich um Mitternacht mit den beiden Typen weggegangen, und der Alte hat alles bloß geträumt? Der Portier wiederholt, es wäre nicht das erste Mal, daß der Alte weiße Mäuse gesehen hätte, einmal hätte er eine Dame nackt am Fenster erhängt gesehen, und dann sei sie ‘ne halbe Stunde später frisch wie ‘ne Rose nach Hause gekommen. Auf dem Klappbett des Alten hätte man so ein Pornoheftchen gefunden, vielleicht sei ihm die schöne Idee gekommen, mal raufzuschleichen und durchs Schlüsselloch in das Zimmer der Dame zu spähen, und dann hätte er einen Vorhang gesehen, der sich im Zwielicht bewegte... Das einzig Sichere ist: das Zimmer befindet sich nicht in normalem Zustand, und der Ardenti ist verschwunden. Aber jetzt habe ich schon zu lange geredet Jetzt sind Sie an der Reihe, Doktor Belbo. Die einzige Spur, die wir haben, ist ein Zettel, der hier neben dem Tischchen am Boden lag: 14 Uhr, Hotel Principe e Savoia, Mr. Rakosky; 16 Uhr, Garamond, Doktor Belbo. Sie haben mir bestätigt, daß er bei Ihnen war. Nun sagen Sie mir, was passiert ist.«
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al des grâles pflihtgesellen
von in vrâgens niht enwellen.
Wolfram von Eschenbach, Panival, XVI, 819
Belbo faßte sich kurz: er wiederholte, was er dem Kommissar schon am Telefon gesagt hatte, ohne weitere Einzelheiten von Belang. Der Oberst habe uns eine obskure Geschichte erzählt, etwas von einem Schatz, dessen Spuren er in gewissen Dokumenten in Frankreich gefunden hätte, aber Genaueres habe er nicht verraten. Anscheinend glaube er, ein ge-fährliches Geheimnis entdeckt zu haben, und wolle es publik machen, um nicht der einzige zu sein, der davon weiß. Er habe angedeutet, daß andere vor ihm, die das Geheimnis entdeckt hätten, auf mysteriöse Weise verschwunden seien.
Die Dokumente habe er nur zeigen wollen, wenn ihm ein Vertrag zugesichert würde, aber er, Belbo, könne niemandem einen Vertrag zusichern, bevor er nicht etwas gesehen habe, und so seien sie mit einer vagen Verabredung auseinandergegangen. Der Oberst habe noch ein Treffen mit einem gewissen Rakosky erwähnt und gesagt, es handle sich um den ehemaligen Direktor der Cahiers du Mystère. Er wolle ihn um ein Vorwort bitten. Anscheinend habe Rakosky ihm geraten, mit der Publikation noch abzuwarten. Der Oberst habe ihm nicht gesagt, daß er zu Garamond gehen wollte.
Das sei alles.
»Gut, gut«, sagte De Angelis. »Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht? «
»Er ist uns ziemlich exaltiert vorgekommen, und er hat auf eine Vergangenheit, sagen wir: etwas nostalgischer Art angespielt, auch auf eine Zeit in der Fremdenlegion.«
»Dann hat er Ihnen die Wahrheit gesagt, wenn auch nicht die ganze. In gewisser Hinsicht hatten wir schon ein Auge auf ihn, ohne uns allzuviel Mühe zu machen. Von solchen Fällen haben wir viele... Also, Ardenti war nicht sein richtiger Name, aber er hatte einen regulären französischen Paß.
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Seit ein paar Jahren kam er ab und zu kurz nach Italien, und wir hatten ihn, ohne sicher zu sein, als einen gewissen Capi-tano Arcoveggi identifiziert, der 1945 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war. Kollaboration mit der SS, um ein paar Leute nach Dachau zu schicken. Auch in Frankreich hatte man ein Auge auf ihn, er war einmal wegen Betrugs angeklagt und hatte sich gerade noch rausreden können.
Wir nehmen an, nehmen an, wohlgemerkt, daß er derselbe ist, der unter dem Namen Fassotti letztes Jahr von einem Klein-industriellen aus Peschiera Borromeo angezeigt worden war.
Er hatte ihm eingeredet, im Corner See liege noch Mussolinis legendärer Dongo-Schatz, er habe die Stelle identifiziert und brauchte bloß ein paar
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