Sie nennen es Leben
Einleitung
Juri ( 16 ) nennt SchülerVZ nur » StasiVZ « , weil er die Datenschutzpolitik des Social Network ablehnt. Fragt man Sarah ( 14 ), was für einen Laptop sie hat, antwortet sie vorsichtig: » Windows 7 ? « Jasper ( 13 ) sucht im Internet nach amerikanischen Skater-Schuhen, die keiner an seiner Schule hat. Lena ( 15 ) hat eine Zeit lang ein eigenes Modeblog geschrieben. Miriam ( 15 ) wollte erst nicht zu SchülerVZ. Dann haben sie ihre Freundinnen so lang gehänselt, bis sie sich schlieÃlich doch angemeldet hat. Paul ( 18 ) freut sich, wenn er mit Freunden ein Wochenende auf dem Land verbringt und es keinen UMTS-Empfang gibt, so dass zur Abwechslung nicht jeder dauernd online ist.
So unterschiedlich sie alle sind, tobt doch derselbe erbitterte Streit um sieâ der Streit darum, was Jugendliche im Internet machen. Muss das sein? Muss man so viel Zeit online verbringen und muss man so oft auf Facebook und SchülerVZ gehen? Solche Fragen stellen sich nicht nur Eltern, die Kinder im Teenager-Alter zu Hause haben. Die Debatte hat längst alle gesellschaftlichen Gruppen erreicht. Denn eigentlich geht es um mehr. Es geht darum, was das Internet mit dem Menschen macht: Wie verändert es einen, wenn man so viel Zeit darin verbringt? Welche Auswirkungen hat es auf das Sozialleben, welche auf die Lernprozesse? Verdummt und verroht man, wenn man dauernd online ist? Oder ist das Gegenteil der Fall: Verpasst man die wichtigsten Entwicklungen und wird abgehängt, wenn man Twitter und LinkedIn nicht nutzt?
Jugendlichen kommt in dieser Debatte eine besondere Rolle zu. Sie gelten als » digital natives « , als digitale Eingeborene. Wie ein Naturvolk bewegen sie sich im Cyberspaceâ intuitiv, nicht intellektuell. Hemmungen gegenüber neuen Technologien sind ihnen fremd, denn sie sind mit Blogs und Smartphone aufgewachsen. Damit werden sie zum Gradmesser dafür, was die neuen Medien mit dem Menschen machen: Unterwerfen oder befreien sie uns?
In Deutschland beherrschen Sorgen und Ãngste die Debatte. Die RTL 2 -Show » Tatort Internet « spielte gekonnt mit diesen Emotionen, indem sie Chats und Social Networks als Freigehege von Pädophilen inszenierte. » Schützt endlich unsere Kinder! « war der Slogan der Sendung. Ob die Kinder vor den möglichen Tätern oder nicht vielmehr vor dem gesamten Internet geschützt werden sollten, lieà sich bei der reiÃerischen Sendung nicht mit letzter Gewissheit sagen.
Doch auch jenseits des Boulevards dominiert die Skepsis gegenüber dem Internet. In seinem Bestseller » Payback « hat » Frankfurter Allgemeine Zeitung « -Herausgeber Frank Schirrmacher seine Sorgen angesichts der Informationsflut beschrieben und gestanden: » Ich komme nicht mehr mit. « Viele Blogger und Online-Aktivisten haben Schirrmacher vehement widersprochen. Sascha Lobo fragte zurück, wann der Einzelne angesichts des immensen Wissens, das die Menschheit seit ihrem Bestehen anhäuft, denn überhaupt je » mitgekommen « wäre.
Mit diesem Buch will ich die Angst nehmenâ vor dem Internet und vor den Jugendlichen. Ich will zeigen, dass im Internet keine Parallelwelt entstanden ist. Ich will zeigen, dass on- und offline viel enger verzahnt sind, als es oft erscheint. Und ich will zeigen, dass die vermeintliche » digitale Generation « anderen Generationen viel ähnlicher ist, als man auf den ersten Blick denkt.
Für dieses Buch habe ich mit Mädchen und Jungen, Gymnasiasten und Hauptschülern, Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, aus GroÃstädten und vom Land gesprochen. Sie alle haben mir mit groÃer Offenheit erzählt, wie sich ihr Alltagâ mit all den damit verbundenen Nöten und Freudenâ gestaltet und welche Rolle das Internet dabei spielt. Für diese Hilfsbereitschaft und alles, was ich von ihnen lernen konnte, möchte ich mich herzlich bedanken. Ich hoffe, dieses Buch wird ihnen gerecht.
In den Medien wird die Internetnutzung von Jugendlichen oft nur beschrieben und anschlieÃend beurteilt. Ich möchte Verhaltensmuster zuallererst verstehen. Wie funktionieren Social Networks? Worin liegt ihr besonderer Reiz für Jugendliche? Vieles, was Jugendliche im Internet tun, erscheint auf den ersten Blick vielleicht sinnlos, eitel und blöd. Wenn man aber genauer hinschaut, zeigt sich, dass Jugendliche nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen und
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