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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Carlo zu verbreiten. Sie wohnten im selben Haus, der eine in der Beletage, der andere im Erdgeschoss, sie begegneten sich morgens und abends, aber sie grüßten einander nicht mehr. Den Kontakt hielt Tante Caterina aufrecht, und nach unserer Ankunft meine Mutter — der Adelino Canepa sein tiefes Mitgefühl und volles Verständnis für den Umstand versicherte, daß sie mit einem Monstrum verschwägert war. Der Onkel kam heim, jeden Abend um sechs, in seinem üblichen grauen Zweireiher, mit Schlapphut und einer noch ungelesenen Stampa in der Hand. Ging aufrecht wie ein Alpino, das graue Auge in die Ferne auf den zu erklimmenden Gipfel gerichtet. Stapfte vorbei an Adelino Canepa, der um diese Zeit die Abendfrische auf einer Bank im Garten genoss, und es war, als ob sie einander nicht sähen. Dann traf er die Signora Canepa an der Tür zum Erdgeschoss und zog feierlich den Hut. So ging es jeden Abend, Jahr für Jahr.«
    Es war bereits acht, Lorenza war immer noch nicht erschienen, und Belbo war beim fünften Martini.
    »Es kam das Jahr 43. Eines Morgens erschien Onkel Carlo bei mir im Zimmer, weckte mich mit einem dicken Kuss und sagte: Mein Junge, willst du die größte Neuigkeit des Jahres hören? Sie haben Mussolini gestürzt! Ich habe nie begriffen, ob Onkel Carlo darunter gelitten hat Er war ein höchst integrer Bürger und Staatsdiener. Wenn er litt, gab er es nicht zu erkennen, er schwieg und leitete das Finanzamt weiter für die Regierung Badoglio. Dann kam der 8. September, unsere Gegend fiel unter die Kontrolle der Repubblica di Salò, Onkel Carlo fügte sich drein und erhob nun die Steuern für Mussolinis Rumpfstaat. Unterdessen rühmte sich Adelino Canepa seiner Kontakte mit den ersten Partisanengruppen in den Bergen und versprach exemplarische Rache. Wir Kinder wussten noch nicht, was Partisanen waren. Man erzählte sich fabelhafte Dinge über sie, aber noch niemand hatte einen gesehen. Man sprach von einem Chef der Badoglianer, einem gewissen Terzi (natürlich war das ein nom de guerre, wie damals üblich, und viele sagten, er hätte sich nach dem Terzi in den Dick-Fulmine-Comics genannt, dem Freund des Helden). Er war ein Ex-Maresciallo der Carabinieri, der in den ersten Schlachten gegen die Faschisten und die SS ein Bein verloren hatte und der nun alle Brigaden auf den Hügeln rings um *** kommandierte. Und dann geschah es. Eines Tages zeigten die Partisanen sich im Ort. Sie waren aus den Hügeln heruntergekommen und stolzierten durch die Straßen, noch ohne bestimmte Uniformen, nur mit blauen Halstüchern, und ballerten MP-Salven in die Luft, um ihre Anwesenheit zu bekunden. Die Nachricht verbreitete sich im Nu, alle schlossen sich in ihren Häusern ein, man wusste ja noch nicht, was für Leute das waren. Tante Caterina äußerte eine leichte Besorgnis, immerhin hieß es, das wären Freunde von Adelino Canepa, oder jedenfalls nannte sich Adelino Canepa ein Freund von ihnen, sie würden doch wohl dem Onkel nichts tun? Sie taten. Wir wurden informiert, daß gegen elf ein Trupp Partisanen mit vorgehaltener MP das Finanzamt gestürmt hatte, sie hätten den Onkel verhaftet und an einen unbekannten Ort verschleppt. Tante Caterina warf sich aufs Bett, fing an, einen weißlichen Schaum zu spucken, und schrie, Onkel Carlo würde umgebracht werden. Es genüge ein Schlag mit dem Gewehrkolben, und wegen der Metallplatte unter der Schädelhaut würde er auf der Stelle tot sein. Angelockt vom Geschrei der Tante, kam Adelino Canepa mit seiner Frau und den Kindern gelaufen. Die Tante schrie, er wäre ein Judas, er sei es gewesen, der den Onkel bei den Partisanen denunziert hätte, weil er die Steuern für Mussolini erhebe, Adelino Canepa schwor bei allem, was ihm heilig war, daß er's nicht gewesen sei, aber man sah, daß er sich schuldig fühlte, weil er zu viel herumerzählt hatte. Die Tante jagte ihn fort. Adelino Canepa brach in Tränen aus, appellierte an meine Mutter, erinnerte sie an die vielen Male, wo er ihr ein Karnickel oder ein Hähnchen für eine lächerliche Summe überlassen hätte, meine Mutter hüllte sich in ein würdiges Schweigen, Tante Caterina spuckte weiter weißlichen Schaum. Ich heulte. Schließlich, nach zwei Stunden Heulen und Zähneklappern, hörten wir draußen Rufe, und Onkel Carlo erschien auf einem Fahrrad, das er mit seinem einen Arm lenkte, und es sah aus, als käme er von einer Spazierfahrt heim. Er sah sofort ein Durcheinander im Garten und hatte die Stirn zu fragen, was passiert

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