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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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senkrecht darüber die Hand Gottes hielt. Rechts und links neben der obersten Kuppel in der Luft das Wort »Fama« und über dem Ganzen ein geschwungenes Schriftband mit den Worten: »Collegium Fraternitatis«.
    Doch nicht genug der Bizarrerien, denn aus zwei runden Fenstern des Turmes ragten links ein enormer Arm, riesig im Vergleich zu den anderen Figuren, der ein Schwert hielt, als gehörte er zu dem geflügelten Wesen, das anscheinend im Innern des Turms gefangen saß, und rechts eine große Trompete. Schon wieder die Trompete...
    Mir kam ein Verdacht beim Betrachten der Öffnungen des Gebäudes: zu viele und zu regelmäßig in den Kuppeltürmen, dagegen wie zufällig an den Wänden des Hauptteils. Der Bau war nur zu zwei Vierteln zu sehen, in orthogonaler Perspektive, aber man durfte aus Gründen der Symmetrie annehmen, dass sich die Tore und Fenster und runden Luken, die auf der einen Seite zu sehen waren, auch auf der gegenüberliegenden jeweils in gleicher Anordnung wiederholten. Also: vier Bogenfenster im Glockenturm, acht Fenster in dem achteckigen Kuppelaufbau darunter, vier offene Wachtürme, je drei Öffnungen an der Ost und der Westfassade, je sieben an der Nord und der Südfassade. Machte zusammengezählt: sechsunddreißig Öffnungen.
    Sechsunddreißig. Seit über zehn Jahren verfolgte mich diese Zahl. Zusammen mit hundertzwanzig. Die Rosenkreuzer. Hundertzwanzig durch sechsunddreißig ergibt — wenn man bei sieben Ziffern bleibt 3,333333. Übertrieben perfekt, aber vielleicht lohnte es sich, die Zahl zu probieren. Ich probierte sie. Ohne Erfolg.
    Mir schoss durch den Sinn, dass diese Zahl, multipliziert mit zwei, fast genau die Zahl des Großen Tieres ergibt, 666. Aber auch diese Konjektur erwies sich als zu phantastisch.
    Schließlich fiel mein Blick auf den Strahlenkranz oben im Zentrum, den Sitz Gottes. Die hebräischen Lettern waren gut zu erkennen, auch von meinem Stuhl aus. Aber Belbo konnte doch auf Abulafia keine hebräischen Buchstaben schreiben. Ich sah genauer hin: ja natürlich, das kannte ich, sicher, von rechts nach links: Jod, He, Waw, He. Jahweh, der Name Gottes.

5
    Die zweiundzwanzig elementaren Lettern schnitt er, formte er, kombinierte er, wog er, stellte er um und formte mit ihnen alles Geschaffene sowie alles, was es in Zukunft zu formen gibt.
    Sefer Jezirah, 2.2
     
    Der Name Gottes ... Ja, natürlich. Ich erinnerte mich an den ersten Dialog zwischen Belbo und Diotallevi an dem Tag, als Abulafia im Büro installiert worden war.
    Diotallevi stand in der Tür seines Zimmers und heuchelte Nachsicht. Seine Nachsicht hatte immer etwas Vorwurfsvolles, doch Belbo schien sie mit Nachsicht zu akzeptieren.
    »Der wird dir nichts nützen. Oder willst du etwa darauf die Manuskripte umschreiben, die du nicht liest?«
    »Er nützt mir zum Klassifizieren, zum Anlegen von Karteien, zum Aktualisieren von Bibliografien. Ich könnte auch eigene Texte darauf schreiben.«
    »Ich denke, du hast geschworen, nie etwas Eigenes zu schreiben.«
    »Ich habe geschworen, die Welt nicht mit einem weiteren Buch zu behelligen. Ich habe gesagt, da mir klar ist, dass ich nicht das Zeug zu einem Protagonisten habe ...«
    »... wirst du ein intelligenter Zuschauer sein. Ich weiß. Und nun?«
    »Nun, auch der intelligente Zuschauer, der aus einem Konzert kommt, trällert den zweiten Satz vor sich hin. Was nicht heißt, dass er ihn in der Carnegie Hall dirigieren will ...«
    »Also wirst du jetzt Trallala-Schreibexperimente machen, um zu entdecken, dass du nicht schreiben darfst.«
    »Das wäre doch eine ehrliche Wahl.«
    »Sie meinen?«
    Diotallevi und Belbo stammten beide aus Piemont und ergingen sich oft über jene Fähigkeit guterzogener Piemontesen, jemandem höflich zuzuhören, ihm in die Augen zu sehen und dann »Sie meinen?« zu sagen in einem Ton, der scheinbar artiges Interesse bezeugt, in Wahrheit aber tiefe Missbilligung ausdrückt. Ich sei ein Barbar, sagten sie, mir würden diese Feinheiten immer und ewig entgehen.
    »Barbar?« protestierte ich. »Ich bin zwar in Mailand geboren, aber meine Familie stammt aus dem Aostatal ...«
    »Unsinn«, erwiderten sie, »den Piemontesen erkennt man sofort an seinem Skeptizismus.«
    »Ich bin Skeptiker.«
    »Nein. Sie sind bloß ungläubig, das ist was anderes.«
    Ich wusste, warum Diotallevi dem Computer misstraute. Er hatte gehört, man könne damit die Ordnung der Buchstaben so verändern, dass ein Text sein eigenes Gegenteil erzeuge und dunkle Seherworte

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