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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Monitor Sein und Seinsollen, Zufall und Notwendigkeit koexistieren können. Oder ich könnte den falschen Block auch nur dem sichtbaren Text entziehen und nicht dem Gedächtnis, um mir so das Archiv meiner Verdrängungen zu bewahren, aber den gefräßigen Freudianern und den Virtuosen der Varianten den Geschmack an der Konjektur zu entziehen, das Metier und den akademischen Ruhm.
    Dies hier ist besser als das wahre Gedächtnis, denn das wahre Gedächtnis kann bestenfalls lernen, sich zu erinnern, nicht aber zu vergessen. Diotallevi, darin gut sephardisch, ist immer ganz versessen auf jene Paläste mit großer Freitreppe, obendrauf die Statue eines Kriegers, der eine grässliche Untat an einer wehrlosen Frau begeht, und dahinter Korridore mit Hunderten von Zimmern, jedes mit der Darstellung eines Wunders, Erscheinungen, beunruhigende Begebenheiten, beseelte Mumien, und bei jedem dieser höchst memorablen Bilder assoziiert man einen Gedanken, eine Kategorie, ein Element des kosmischen Ameublements, ja geradezu einen Syllogismus, einen enormen Sorites, Ketten von Apophthegmata, Bänder von Hypallagen, Rosen von Zeugmata, Reigen von Hystera-Protera, Logoi apophantikoi, Hierarchien von Stoicheia, Prozessionen von Äquinoktien, Parallaxen, Herbarien, Genealogien von Gymnosophisten etcetera etceterorum — o Raimundus, o Camillo, ihr brauchtet bloß eure Visionen im Geiste durchzugehen, und schon rekonstruiertet ihr die Große Kette des Seins in love and joy, denn alles, was im Universum sich spaltet, das hatte sich in eurem Geist schon zu einem Buche vereint, und Proust hätte euch nur ein Lächeln entlockt. Doch als wir einmal mit Diotallevi versuchten, eine wir einmal mit Diotallevi versuchten, eine ars oblivionalis zu entwerfen, gelang es uns nicht, die Regeln für das Vergessen zu finden. Es hat keinen Zweck, man kann sich zwar auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben, indem man verwehten Spuren folgt wie der kleine Däumling im Walde, aber es gelingt nicht, die wiedergefundene Zeit absichtlich zu verlieren. Däumling kommt immer wieder zurück, wie angenagelt. Es gibt keine Technik des Vergessens, wir sind immer noch bei den zufallsbestimmten Naturprozessen - Gehirnverletzungen, Amnesien, manuelle Improvisationen, was weiß ich, eine Reise, der Alkohol, die Schlafkur, der Selbstmord.
    Doch Abu erlaubt nun auch kleine lokale Selbstmorde, provisorische Amnesien, schmerzlose Sprachverluste.
    Wo warst du gestern, L
    Nein, indiskreter Leser, du wirst es nie erfahren, aber die abgebrochene Zeile hier oben, die da so einfach im Leeren hängt, die war effektiv der Anfang eines langen Satzes, den ich geschrieben hatte, aber dann wollte ich ihn nicht geschrieben haben (und nicht mal gedacht haben), weil ich wollte, es wäre nie geschehen, was ich da geschrieben hatte. Es genügte ein Befehl, ein milchiges Licht ergoss sich über den fatalen und deplacierten Absatz, ich drückte die Löschtaste, und pffft war alles verschwunden.
    Aber damit nicht genug. Die Tragödie des Selbstmörders ist, dass er, kaum hat er den Sprung aus dem Fenster getan, zwischen der siebten und sechsten Etage denkt: »O könnte ich doch zurück!« Nichts da. Nie passiert. Pflatsch. Abu dagegen ist nachsichtig, er erlaubt dir, dich zu besinnen, ich könnte meinen gelöschten Text wiederhaben, wenn ich mich rechtzeitig entschlösse, die Rückholtaste zu drücken. Welche Erleichterung! Im bloßen Wissen, dass ich, wenn ich wollte, mich erinnern könnte, vergesse ich sofort.
    Ich werde nie mehr durch Bars ziehen, um fremde Raumschiffe mit Leuchtspurgeschossen zu zertrümmern, bis das Monster mich zertrümmert. Hier ist es schöner, hier kann man Gedanken zertrümmern. Der Bildschirm ist eine Galaxie aus Tausenden und Abertausenden von Asteroiden, säuberlich aufgereiht, weiß oder grün, und du bist es, der sie erschafft. Fiat Lux, Big Bang, sieben Tage, sieben Minuten, sieben Sekunden, und vor deinen Augen entsteht ein Universum in permanenter Verflüssigung, das keine präzisen kosmologischen Linien kennt und nicht mal zeitliche Fesseln. Kein Numerus Clausius hier, hier geht man auch in der Zeit zurück, die Lettern erscheinen gleichmütig, tauchen hervor aus dem Nichts und kehren brav wieder dorthin zurück, ganz wie du befiehlst, und wenn du sie löschst, lösen sie sich auf und verfügen sich wieder als Ektoplasma an ihren natürlichen Ort, das Ganze ist eine unterseeische Symphonie aus weichen Verbindungen und Frakturen, ein gelatinöser Reigen

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