Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Macht, die Agliè über Garamond gewann.
    Vielleicht war es auch unsere Schuld gewesen. Seit fast einem Jahr war Agliè dabei, Garamond zu bezirzen, seit den Tagen der alchimistischen Fete auf dem Schloss in Piemont. Bald danach hatte Garamond ihm die Kartei der AEKs anvertraut, damit er sie nach neuen Opfern zum Mästen der Entschleierten Isis durchsuchte, und mittlerweile zog er ihn bei jeder Entscheidung zu Rate, sicher zahlte er ihm auch ein monatliches Fixum. Gudrun, die periodische Erkundungen am Ende des Korridors vornahm, jenseits der Glastür, die in das wattierte Reich von Manuzio führte, berichtete uns ab und zu in besorgtem Ton, Agliè habe sich im Büro der Signora Grazia praktisch eingerichtet, er diktiere ihr Briefe, empfange Besucher und führe sie in Signor Garamonds Arbeitszimmer, mit einem Wort — und vor lauter Empörung verlor Gudruns Aussprache noch ein paar Vokale mehr —, er benehme sich ganz wie der Chef. Wir hätten uns wirklich fragen können, wieso Agliè Stunden um Stunden über der Adressenkartei von Manuzio verbrachte. Er hatte genügend Zeit gehabt, die AEKs herauszufinden, die sich als neue Autoren für die Entschleierte Isis anwerben ließen. Trotzdem fuhr er fort zu schreiben, zu kontaktieren, zu organisieren. Im Grunde aber bestärkten wir seine Autonomie, denn die Lage kam uns durchaus zupass.
    Sie kam Belbo zupass, denn mehr Agliè in der Via Marchese Gualdi hieß weniger Agliè in der Via Sincero Renata und somit weniger Möglichkeiten, daß gewisse unverhoffte Besuche von Lorenza Pellegrini (über die Belbo immer glühender errötete, ohne noch irgendeinen Versuch zu machen, seine Erregung zu verbergen) durch das plötzliche Auftauchen von »Simon« gestört wurden.
    Die Lage kam auch mir zupass, da ich die Lust an der Entschleierten Isis inzwischen verloren hatte und immer mehr von meiner Geschichte der Magie beansprucht wurde. Von den Diabolikern glaubte ich alles gelernt zu haben, was ich von ihnen lernen konnte, und so überließ ich Agliè gern die Pflege der Kontakte (und der Kontrakte) mit den neuen Autoren.
    Auch Diotallevi hatte schließlich nichts gegen die Lage, da ihm die Welt überhaupt immer weniger zu bedeuten schien. Jetzt, wenn ich daran zurückdenke, wird mir bewusst, daß er von Tag zu Tag weiter abnahm, in besorgniserregender Weise, manchmal überraschten wir ihn in seinem Büro, wie er über ein Manuskript gebeugt dasaß, reglos ins Leere starrend, während der Stift ihm fast aus der Hand fiel. Er war nicht eingeschlafen, er war nur erschöpft.
    Es gab aber noch einen anderen Grund, warum wir es hinnahmen, daß Agliè immer seltener erschien, um uns nur rasch die Manuskripte zurückzugeben, die er abgelehnt hatte, und gleich wieder durch den langen Korridor zu verschwinden. In Wirklichkeit wollten wir nicht, daß er unsere Gespräche mit anhörte. Hätte man uns gefragt, warum nicht, hätten wir gesagt: aus Scham — oder auch aus Zartgefühl, schließlich parodierten wir Metaphysiken, an die er in gewisser Weise glaubte. Tatsächlich war's eher aus Misstrauen, wir hüllten uns mehr und mehr in die natürliche Reserviertheit derer, die sich im Besitz eines Geheimnisses wissen, und stießen Agliè ins profane Volk zurück — wir, die wir nun langsam und immer weniger lächelnd kennenlernten, was wir erfunden hatten. Im übrigen, wie Diotallevi einmal in einem gut gelaunten Augenblick sagte: Jetzt, wo wir einen echten Saint-Germain hatten, wussten wir nicht mehr, was wir mit einem vorgeblichen Saint-Germain anfangen sollten.
    Agliè schien sich über unsere Zurückhaltung nicht zu grämen. Er grüßte uns sehr elegant und verzog sich. Mit einer Anmut, die schon an Hochmut grenzte.
    Eines Montagmorgens war ich spät in den Verlag gekommen, und Belbo, schon ungeduldig wartend, hatte mich gleich in sein Büro gebeten, zusammen mit Diotallevi. »Große Neuigkeiten«, hatte er gesagt. Er wollte gerade anfangen zu sprechen, da kam Lorenza hereingewirbelt. Belbo war hin-und hergerissen zwischen der Freude über ihren Besuch und der Ungeduld, uns seine Entdeckungen mitzuteilen. Gleich darauf klopfte es, und Agliè streckte den Kopf herein: »Bleiben Sie sitzen, ich will Sie nicht inkommodieren, ich habe nicht die Macht, ein solches Konsistorium zu stören. Ich wollte nur rasch der lieben Lorenza sagen, daß ich drüben bei Signor Garamond bin. Und ich hoffe doch wenigstens noch so viel Macht zu haben, sie zu einem Sherry um zwölf in mein Büro einzuladen.«
    In

Weitere Kostenlose Bücher