Das Foucaultsche Pendel
verzichten konnten, riss er sie aus ihren Träumen und stellte sie vor die Alternative: Geh hin und töte! Wenn du es schaffst, wird dieses Paradies dir erneut und für immer offenstehen, wenn nicht, fällst du zurück in die Hölle des Alltags.
Und sie, betäubt von der Droge, blind seinem Willen untertan, opferten sich, um zu opfern — zum Tode verurteilte Töter, zum Morden verdammte Mordopfer.
Wie wurden sie gefürchtet! Wie wurde über sie gefabelt und gefaselt von den Kreuzfahrern in den mondlosen Nächten, wenn der Samum durch die Wüste blies! Wie wurden sie bewundert von den Templern, diesen rauen Haudegen, überwältigt von einem so hehren Märtyrerwillen, die sich unterwarfen, um ihnen Wegzölle zu zahlen und formale Tribute dafür zu verlangen, in einem Wechselspiel von gegenseitigen Zugeständnissen, Komplizen-und Waffenbrüderschaften, einander auf offenem Felde bekämpfend und im geheimen liebkosend, einander mystische Visionen zuraunend, magische Formeln, alchimistische Raffinessen...
Von den Assassinen des Alten vom Berge hatten die Templer ihre okkulten Riten gelernt. Nur die unkriegerische Ignoranz der Vögte und Inquisitoren Philipps des Schönen hatte diese daran gehindert, zu begreifen, dass der Kuss auf den Hintern, das Spucken aufs Kreuz, der schwarze Kater und die Anbetung des Baphomet-Hauptes nichts anderes waren als Wiederholungen anderer Riten, welche die Templer unter dem Einfluß des ersten Geheimnisses vollzogen hatten, dem sie im Orient begegnet waren: dem Gebrauch des Haschischs.
So war nun klar, dass der Große Plan dort entstanden war, ja dort entstanden sein musste: von den Männern aus Alamut hatten die Templer über die tellurischen Strömungen erfahren, mit den Männern aus Alamut hatten sie sich in Provins vereint und das geheime Komplott der Sechsunddreißig Unsichtbaren ausgeheckt; darum war Christian Rosencreutz nach Fez und in andere arabische Orte gereist, darum hatte sich Guillaume Postel in den Orient begeben, darum hatten die Magier der Renaissance aus dem Orient, aus Ägypten, dem Sitz der fatimidischen Ismaeliten, die namengebende Gottheit des Großen Plans importiert, Hermes, Hermes-Thot oder Hermes Trismegistos, und darum hatte der Intrigant Cagliostro seine Riten für ägyptische Figuren ersonnen. Und die Jesuiten, ja die Jesuiten, die hatten sich, weniger dumm, als wir dachten, mit Pater Kircher sofort auf die Hieroglyphen gestürzt, und auf das Koptische und auf die andern orientalischen Sprachen, wobei das Hebräische nur eine Tarnung war, eine Konzession an den Zeitgeist.
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Diese Texte sind nicht für gewöhnliche Sterbliche... Die gnostische Wahrnehmungsweise ist einer Elite vorbehalten... Denn wie die Bibel sagt: Werft eure Perlen nicht vor die Säue.
Karnal Jumblatt, Interview in Le Jour, 31.3.1967
Arcana publicata vilescunt: et gratiam propha-nata amittunt. Ergo: ne margaritas objice porcis, seu asino substerne rosas.
(Aufgedeckte Geheimnisse werden alt, und profaniert verlieren sie ihren Reiz. Also wirf deine Perlen nicht vor die Säue, noch unterbreite dem Esel Rosen.)
Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, Frontispiz
Und wo übrigens wäre sonst jemand zu finden gewesen, der sechs Jahrhunderte lang auf dem Stein zu warten imstande war und tatsächlich so lange gewartet hätte? Sicher, Alamut war schließlich unter dem Ansturm der Mongolen gefallen, aber die Sekte der Ismaeliten hatte im ganzen Orient überlebt. Einerseits hatte sie sich mit den nicht-schiitischen Sufis vermischt, andererseits hat sie die furchtbare Sekte der Drusen erzeugt, und drittens schließlich lebt sie noch heute unter den indischen Khojas, den Anhängern Aga Khans, unweit der Stätte von Agarttha.
Doch ich hatte noch mehr entdeckt: Unter der Fatimiden-Dynastie waren die hermetischen Kenntnisse der alten Ägypter wiederentdeckt worden, und zwar durch die Akademie von Heliopolis in Kairo, wo man ein Haus der Wissenschaften gegründet hatte. Ein Haus der Wissenschaften! Woher hatte Francis Bacon die Inspiration für sein Salomonisches Haus genommen, nach dessen Muster dann ja das Conservatoire des Arts et Metiers in Paris gebaut worden war?
»So ist es, so ist es, da gibt's gar keine Zweifel mehr«, sagte Belbo, inzwischen schon ziemlich betrunken. Und dann: »Aber was ist jetzt mit den Kabbalisten?«
»Das ist nur eine parallele Geschichte. Die Rabbiner in Jerusalem ahnen, dass etwas zwischen Templern und
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