Königin der Piraten
1.Kapitel
Er war die Geißel der Spanish Main, der südlichen Karibischen See vor der Nordwestküste Südamerikas.
Fast ein Jahrhundert zuvor hatte der Pirat Blackbeard allein auf New Providence um die sechzehn Geliebte erobert. Gray, der nicht hinter ihm zurückstehen wollte, war entschlossen, diese Zahl in der Karibik, die er nun beherrschte, noch zu überbieten.
Heute Nacht war die Glückliche eine Frau, die er besonders schätzte - die herrlich lasterhafte, im Liebesspiel erfinderische Lady Catherine Fairfield, Tochter des reichsten Zuckerhändlers auf Barbados.
Schon viele Piraten hatten auf diesen gesetzlosen Gewässern ihre Entermesser geschwungen, doch keiner hatte je so gut ausgesehen wie Gray. Er trug einen Goldreif im Ohr und eine Augenklappe auf einer Seite, obwohl dem darunter verborgenen, dunklen Auge nichts fehlte. Vor das andere hielt er gerade sein Nachtfernglas, ein schweres Gerät aus Messing, das in einem Lederetui steckte. Er stützte es mit dem Arm ab und richtete es auf das entfernte, helle Licht, das anzeigte, wo sich Lord Fairfields feudales Anwesen befand.
Und seine wunderschöne, willige Tochter. Mit einem gierigen Lächeln ließ der Pirat das Fernglas zuschnappen.
Die Brise, so warm wie die Bettgenossin, die ihn erwartete, und so temperamentvoll wie deren Charme, wehte stürmisch über die dunkle Karibische See, sodass sich die kleine Pinasse weit zur Seite neigte. Auf den Wellen leuchteten in der Dunkelheit weiße Schaumkronen auf, und das lange Haar des Piraten, schwarz wie die Nacht, flatterte im Wind wie ein ungestümes Banner.
»Nach Steuerbord ein wenig beidrehen, Bones«, befahl Gray, und der ausgemergelte Seemann am Ruder tat, wie ihm geheißen. Dabei unterdrückte er ebenso ein Grinsen wie seine Kameraden. Nachsichtig und loyal, wie sie waren, kannten sie die nächtlichen Ausflüge ihres Befehlshabers nur zu gut. Dieser Beutezug in Lady Gatherines Schlafgemach würde sein letzter sein, bevor die Pflicht sie alle nach Hause rief und die Karibik vor Grays ausschweifenden Gelüsten wieder sicher war.
Die Pinasse flog über die tanzenden Wellen, den Bug auf das erleuchtete Anwesen in der Ferne gerichtet. Gray hakte den Ellbogen um eine der Wanten, stützte einen Fuß oben auf das Dollbord, und in dieser herrschaftlichen Pose beugte er sich weit über die Wogen hinaus, die gierig an der Spitze seines Schaftstiefels leckten. »Mhm«, murmelte er, als er in einem der Schlafräume im ersten Stock Licht brennen sah, »die Trophäe wartet schon auf mich ...«
»Im Dunkeln zu entern ist niemals ehrenhaft«, grummelte Bones am Ruder.
»Und meinen Zorn zu wecken niemals klug«, erwiderte Gray lachend. »Haltet den Kurs, Steuermann, oder ich knüpfe Euch an der Großrah auf, wenn wir zurück sind, und lasse Euch wie eine Puppe daran baumeln. Dann dürft Ihr mit mir über Ehre reden.«
Die Besatzung stimmte in sein Lachen ein. Ihr Anführer hatte gute Laune, und warum auch nicht? Bald würden sie nach Hause segeln, heute Nacht würde er an Land gehen, um seine Piratenfantasien auszuleben, und die schamloseste Lady auf den Inseln unter dem Winde stand heimlich Wache in ihrem Schlafgemach.
Doch dem Schicksal gefällt es nun einmal, auch die sorgfältigsten Pläne zu durchkreuzen, und genau das tat es in jener Nacht im späten Frühling im Jahre des Herrn 1805.
Gray sollte nie erfahren, was ihn in die warmen Arme der Karibischen See stürzte und so sein Leben für immer veränderte. War es eine launische Welle? War sein Stiefel vom Dollbord abgerutscht? Hatte ihm ein Geist einen Schabernack gespielt und ihn geschubst? Eben noch war er der stolze Kapitän eines Piratenschiffes auf dem Weg zu einem gefährlichen Beutezug, im nächsten Moment trieb er als jämmerlicher Schiffbrüchiger in der schweren See, die ihn in die Tiefe zu ziehen und nie wieder herzugeben drohte.
Doch Gray fing sich rasch. Er tauchte auf, rieb sich das Salz aus den Augen und schwamm einen Augenblick auf der Stelle. Weder hatte er Angst vor der Tiefe unter seinen Füßen, noch überkam ihn das Gefühl der Schmach, das ein Geringerer vielleicht empfunden hätte, wenn er vor den Augen seiner Untergebenen so schändlich ins Meer geplumpst wäre. Er hörte, wie sie nach ihm riefen, und sah das Segel der Pinasse schwach in der stürmischen Dunkelheit leuchten. Einen flüchtigen Moment lang zog er in Erwägung, in diese Richtung zu schwimmen, aber sein Blut war in Wallung. Er war voller Begierde, und er sollte
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