Das Foucaultsche Pendel
gutes Hotel geleistet, aus dem Fenster sah man das Meer, und aus der noch erleuchteten Küchenecke lockte ein Korb mit tropischen Früchten, die wir am Morgen auf dem Markt gekauft hatten.
»Hör mal, was hier steht: 1614 erschien in Deutschland eine anonyme Schrift mit dem Titel Allgemeine und General Reformation der gantzen weiten Welt. Nebst der Fama Fraternitatis deß Löblichen Ordens des Rosencreutzes, an alle Gelehrten und Häupter Europae geschrieben. Auch nebst einer kurtzen Responsion, von dem Herrn Haselmeyer gestellet, welcher deßwegen von den Jesuittern ist gefänglich eingezogen und auf eine Galleeren geschmiedet worden: Jtzo öffentlich in Druck verfertigt und allen trewen Hertzen communiciret. Herausgegeben zu Kassel von Wilhelm Wessel. «
»Ist das nicht ein bisschen lang?«
»Scheint, dass im siebzehnten Jahrhundert alle Titel so waren. Alle wie von Lina Wertmüller geschrieben.
Es handelt sich um ein satirisches Werk, eine Fabel über eine allgemeine Reformation der ganzen Menschheit, zum Teil abgeschrieben von den Ragguagli di Parnaso des Traiano Boccalini. Aber darin eingebettet ist ein kleineres Werk, ein knappes Manifest von kaum zwölf Seiten, die Fama Fraternitatis, die ein Jahr später gesondert veröffentlicht wird, gleichzeitig mit einem anderen Manifest, diesmal auf Lateinisch, betitelt Confessio fraternitatis Roseae Crucis, ad eruditos Europae. In beiden stellt sich die Bruderschaft der Rosenkreuzer vor und spricht von ihrem Gründer, einem geheimnisvollen C.R. Erst später und aus anderen Quellen geht hervor, dass es sich um einen gewissen Christian Rosencreutz handelt.«
»Warum wird der volle Name verschwiegen?«
»Ach, das wimmelt hier nur so von Initialen, keiner wird hier mit vollem Namen genannt, sie heißen alle G.V., I.A., I.O. oder so, und wer wirklich einen netten kleinen Spitznamen hat, nennt sich P.D. Erst werden die Bildungsjahre von C.R. erzählt, der zunächst das Heilige Grab besucht, dann nach Damaskus geht, dann nach Ägypten und von da nach Fez, was damals ein Zentrum der muselmanischen Weisheit gewesen sein muss. Dort lernt unser Christian, der bereits Griechisch und Latein konnte, die orientalischen Sprachen, die Physik, die Mathematik, die Naturwissenschaften, er akkumuliert die ganze tausendjährige Weisheit der Araber und der Afrikaner, bis hin zur Kabbala und zur Magie, er übersetzt sogar ein mysteriöses Liber M ins Lateinische, und schließlich kennt er alle Geheimnisse des Makro- und Mikrokosmos. Schon seit zwei Jahrhunderten war damals alles Orientalische groß in Mode, besonders wenn man nicht kapierte, was es bedeutete.«
»So machen sie's immer: Was? Ihr seid verhungert, frustriert, ausgebeutet? Verlangt nach dem Kelch des Geheimnisses! Hier, nimm ...« Sie rollte mir einen Joint. »Das ist einer von den Guten.«
»Siehst du, auch du willst bloß vergessen.«
»Aber ich weiß, dass es bloß Chemie ist, sonst nichts. Da ist kein Geheimnis dabei, das macht dich auch high, wenn du kein Hebräisch kannst. Komm her.«
»Warte. Danach geht dieser Rosencreutz nach Spanien, und auch da stopft er sich mit okkulten Lehren voll und nähert sich, wie es hier heißt, immer mehr und mehr dem Zentrum allen Wissens. Und im Laufe dieser Reisen, die für einen Intellektuellen damals ein echter Trip in totale Weisheit gewesen sein mussten, kapiert er schließlich, dass in Europa eine Gesellschaft gegründet werden muss, die den Regierenden die Wege der Weisheit und Güte weist«
»Originelle Idee. Hat sich wirklich gelohnt, soviel zu studieren. Ich möchte 'ne frische Mamaya.«
»Sind im Kühlschrank. Sei lieb, hol sie dir selber, ich arbeite.«
»Wenn du arbeitest, bist du die Ameise, und wenn du die Ameise bist, dann sei's auch und sorg für Nahrung.«
»Die Mamaya ist Wollust, also geht die Grille. Oder ich gehe, und du liest.«
»Cristo, nein! Ich hasse die Kultur des weißen Mannes. Ich geh schon.«
Amparo ging in die Küchenecke, und ich genoss es, sie im Gegenlicht zu begehren. Und derweilen kehrte C.R. nach Deutschland zurück, und statt sich der Umwandlung von Metallen zu widmen, was sein immenses Wissen ihm nun gestattet hätte, beschloss er, sich einer spirituellen Reformation zu verschreiben. Er gründete die Confraternitas, indem er eine magische Sprache und Schrift ersann, die als Fundament für die Weisheit der künftigen Brüder dienen sollte.
»Nicht so, du kleckerst das ganze Buch voll, steck sie mir in den Mund, nein — lass doch die
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