Das Foucaultsche Pendel
war.«
»Aber auch ihnen ging's nicht immer gut. Der pfälzische Kurfürst nimmt 1619 die Krone von Böhmen an, wahrscheinlich weil er vor Sehnsucht verging, in Prag, der magischen Stadt, zu regieren, doch ein Jahr später schlagen ihn die Habsburger am Weißen Berg, in Prag werden die Protestanten massakriert, dem Comenius wird das Haus angezündet, die Bibliothek verbrannt, die Frau und der Sohn erschlagen, und er flieht von Hof zu Hof, um überall zu wiederholen, wie groß und hoffnungsvoll die Idee der Rosenkreuzer war.«
»Der Ärmste, sollte er sich mit dem Barometer trösten? Aber entschuldige einen Moment, du weißt ja, wir Frauen sind nicht so schnell von Kapee wie ihr: Wer hat denn die Manifeste geschrieben?«
»Tja, das ist das Schöne, man weiß es nicht. Lass mal sehen, kratz mir mal das Rosenkreuz ... nein, zwischen den Schulterblättern, nein, höher, nein, weiter links, ja, da. Also, in diesem deutschen Milieu sind unglaubliche Typen. Zum Beispiel ein gewisser Simon Studion, der eine Naometria schreibt, ein okkultes Traktat über die Maße des Salomonischen Tempels, oder Heinrich Khunrath, der ein Amphitheatrum sapentiae aeternae verfasst, voller Allegorien mit hebräischen Alphabeten und kabbalistischen Höhlen, die wohl die Autoren der Fama inspiriert haben müssen. Diese sind vermutlich Angehörige eines der zahllosen Konventikel von Utopisten der christlichen Wiedergeburt. Gerüchten zufolge ist der Autor ein gewisser Johann Valentin Andreae, ein schwäbischer Pfarrer aus dem Tübinger Stift, der dann ein Jahr später die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz veröffentlicht, aber die hatte er schon als junger Mann geschrieben, also war ihm die Idee mit den Rosenkreuzern schon lange im Kopf herumgegangen. In seinem Umkreis gibt es aber noch andere Schwärmer, die von einer Republik von Christianopel träumen, vielleicht haben sie sich alle zusammengetan. Scheint allerdings, das sie sich nur einen Jux machen wollten, sie dachten gar nicht daran, die große Konfusion anzurichten, die sie angerichtet haben. Andreae verbringt sein ganzes weiteres Leben damit, zu schwören, dass er die Manifeste nicht verfasst hätte, dass sie in jedem Fall nur ein lusus, ein ludibrium, eine Art Studentenulk gewesen wären, er bringt seine akademische Reputation ins Spiel, erbost sich und sagt, das die Rosenkreuzer, auch wenn es sie gebe, allesamt Hochstapler seien. Vergeblich. Kaum sind die Manifeste erschienen, scheint es, als hätten die Leute auf nichts anderes gewartet. Die Gelehrten aus ganz Europa schreiben tatsächlich an die Rosenkreuzer, und da man nicht weiß, wo sie zu finden sind, schreiben sie offene Briefe, Broschüren, Bücher. Michael Maier veröffentlicht noch im selben Jahr ein Opus namens Arcana arcanissima, in dem er zwar die Rosenkreuzer nicht nennt, aber alle sind überzeugt, das er von ihnen spricht und viel mehr weiß, als er sagen will. Einige prahlen und behaupten, sie hätten die Fama im Manuskript gelesen. Ich glaube nicht, das es damals besonders leicht war, ein Buch herzustellen, noch dazu eins mit Illustrationen, aber Robert Fludd publiziert bereits 1616 (und er schreibt in England und lässt in Leiden drucken, rechne nur mal die Zeit zum Hin- und Herreisen für die Fahnenkorrekturen), eine Apologia compendiaria Fraternitatem de Rosea Cruce suspicionis et infamiis maculis aspersam, veritatem quasi Fluctibus abluens et abstergens, zur Verteidigung der Rosenkreuzer, um sie reinzuwaschen von den Verdächtigungen und ›Schandflecken‹, die man ihnen angehängt habe — und das kann nur heißen, das bereits eine heftige Debatte entbrannt sein musste, hin und her zwischen Böhmen, Deutschland, England und Holland, alles mit reitenden Boten und umherziehenden Gelehrten.«
»Und die Rosenkreuzer selbst?«
»Grabesstille. Post hundertzwanzig annos patebo nix. Hocken schweigend im Vakuum ihres Palastes. Ich glaube, es ist gerade ihr Schweigen, das die Geister erregt. Das sie nicht antworten, heißt, das sie tatsächlich existieren. 1617 schreibt Robert Fludd einen Tractatus apologeticus integritatem societatis de Rosea Cruce defendens, und der Autor eines De naturae secretis von 1618 sagt, der Moment sei gekommen, das Geheimnis der Rosenkreuzer zu lüften.«
»Und lüftet er es?«
»Von wegen. Er macht es noch komplizierter. Denn er entdeckt, das man, wenn man die von den Rosenkreuzern versprochenen 188 Jahre von 1618 abzieht, auf 1430 kommt: das Jahr, in dem der Orden des Goldenen
Weitere Kostenlose Bücher