Das Fuenfte Evangelium
Stimme klang resigniert. Offenbar war ihm Guido der angenehmere Geschäftspartner gewesen. Möglich, daß Rotbacke Frauen grundsätzlich nicht mochte. Von seinem Aussehen konnte man darauf schließen. Einerlei, das stärkte nur ihre Position.
Thales versuchte angestrengt, die Unterhaltung von neuem aufzunehmen: »Wir haben uns gut verstanden, Ihr Mann und ich, sehr sympathisch, wirklich, korrekter Geschäftsmann.« Mit der Linken machte er eine ausholende Handbewegung wie ein schlechter Schauspieler, um anzudeuten, daß es vielleicht besser wäre, sich etwas von der Stelle zu bewegen. Er schien bemüht, ihr Zusammentreffen so unauffällig wie möglich zu halten.
»Sie kannten meinen Mann?« fragte Anne im Gehen, während sie gelangweilt auf die ägyptischen Exponate zu beiden Seiten des Raumes blickte.
»Was heißt kennen«, antwortete Thales. »Wir standen in Verhandlungen.«
Warum hatte Guido den Namen Thales nie erwähnt? Irgend etwas stimmte an der Sache nicht. Eigentlich hatte sie vor, dem Rotbackigen die Wahrheit zu sagen, sie wisse überhaupt nicht, worum es gehe und wo sich das Pergament befinde, für das er ein Vermögen auszugeben bereit sei; aber dann kam alles ganz anders, weil der fremde Mann zu reden begann, und dabei gebrauchte er wieder das Personalpronomen ›wir‹.
»Sie fragen sich natürlich, warum wir bereit sind, für ein Stück Pergament mit ein paar alten Schriftzeichen soviel Geld auszugeben. Allein an der Summe mögen Sie erkennen, wie wertvoll das Stück für uns ist, das wollen wir nicht verhehlen. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen irgend jemand mehr bietet. Wichtig ist uns nur, daß niemand von dem Pergament erfährt und schon gar nicht von dem Kauf, und damit wir Sie gar nicht erst in Schwierigkeiten bringen können, wollen wir absolut anonym bleiben. Wir zahlen die geforderte Summe bar auf die Hand, das Geschäft braucht also in keiner Bilanz aufzutauchen. Wir verstehen uns?«
Anne verstand keineswegs. Sie begriff nur, daß der seltsame Mann neben ihr bereit war, ihr eine Dreiviertelmillion für ein Objekt zu zahlen, das sich angeblich in ihrem Besitz befand, von dem sie allerdings keine Ahnung hatte – und das möglicherweise sogar gestohlen war.
Ganz unvermittelt fragte Thales auf einmal: »Haben Sie das Pergament mitgebracht? Ich meine, befindet es sich hier in Berlin?«
»Nein«, erwiderte Anne, ohne zu überlegen und durchaus wahrheitsgemäß.
Die Antwort enttäuschte den Rotbackigen sehr. »Ich verstehe«, sagte er mit einem Ausdruck von Betroffenheit; und mit einer Schnelligkeit, die sie verwirrte, machte er eine höfliche Kopfbewegung, um sich zu verabschieden, und während er sich umdrehte, sagte er noch: »Wir melden uns wieder, auf Wiedersehen.«
Anders als an dem vorangegangenen Abend hätte Anne den Rotbackigen diesmal leicht verfolgen können, sie hätte ihn sogar aufhalten, ihm irgendwelche Fragen stellen können; aber der Augenblick solcher Gedanken fand ein schnelles Ende, weil sie nicht wußte, was sie überhaupt von ihm wollte.
7
A nne hielt sich keinen Tag länger in Berlin auf. Sie hatte das unerklärliche Gefühl, irgend etwas Außergewöhnliches könnte geschehen. Nebelverhangene Straßen, stinkender Dampf aus den Gullys und lauter Verkehr, all das wirkte mit einem Mal bedrohlich auf sie. Derlei Gefühle hatte sie nie gehabt, weil es keinen Anlaß dazu gegeben hatte, schließlich war sie eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand, und schrecken konnten sie nur schlechte Bilanzen und das Finanzamt.
Nun aber ertappte sie sich dabei, daß sie zur Seite wich, wenn ein Auto neben ihr anhielt, und daß sie um einen Bettler am Straßenrand einen großen Bogen machte, nur weil er sie mit hoffnungsvollem Blick musterte. Es kam ihr vor, als drehte sich alles nur um sie, obwohl die Ereignisse doch nach wie vor mit ihrer eigenen Person wenig zu tun hatten.
Auf dem Flug nach München, der ihr in angenehmer Erinnerung blieb (es war für lange Zeit die letzte angenehme Erinnerung), weil über dem Nebel die Sonne strahlte und ihr eine ganze Sitzreihe allein zur Verfügung stand, versuchte Anne irgendeine Erklärung für all das zu finden, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Sie fand sie nicht. Dabei stellte sich ihr die Frage, ob Guidos tödlicher Unfall ein Zufall war oder ob jemand dabei nachgeholfen hatte.
Zu Hause fand sie einen roten Zettel mit Polizeistempel an die Eingangstür geklebt und dem handschriftlichen Vermerk, sie möge
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