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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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erwiderte der Junge, nein, er habe von der Existenz überhaupt nur durch das Wareneingangsbuch erfahren, wo er den Einkauf weisungsgerecht mit eintausend Mark verbucht habe.
    In der Tat war das Objekt als ›koptisches Pergament‹ ordnungsgemäß verbucht. Unter der Rubrik ›Herkunft‹ fand Anne die Eintragung: privat. Wann er das Pergament zuletzt im Tresor gesehen hatte, vermochte Wiguläus nicht mit Sicherheit zu sagen, vermutlich am Tage vor Guido von Seydlitz' Tod, und entschuldigend fügte er hinzu, er habe das Pergament einfach nicht für so bedeutend gehalten, um sich dafür zu interessieren. Aber jetzt sei es verschwunden.
    Ob er wisse, welchen Inhalt der Text des Pergaments wiedergebe?
    O nein, lachte Wiguläus, der Wert des Schriftstückes beruhe mit Sicherheit nicht auf seinem Inhalt, sondern auf seinem Alter. Im übrigen seien die Schriftzeilen an vielen Stellen unleserlich. Allein die Tatsache, daß es auf dem Kunstmarkt angeboten wurde, erlaube die Schlußfolgerung, daß es kaum von historischer Bedeutung sei.
    So endete dieses Gespräch wie alle Gespräche, die Anne seit Guidos Tod geführt hatte, mit tiefem Mißtrauen und dem festen Vorsatz, das Geheimnis um das Pergament auf eigene Faust zu ergründen. Immerhin hatte sie nun mehrere Kopien unterschiedlicher Bildqualität vorliegen, alle etwa in der Originalgröße eines halben Briefbogens, die für einen Fachmann durchaus aussagefähig sein mußten. Insgeheim knüpfte Anne an den Inhalt jetzt die Vermutung, die sie in keiner Weise zu begründen wußte, daß Guidos Tod mit dem Papier in irgendeiner Weise in Zusammenhang stand.
8
    E s war dies jene selbsternannte Form von Logik, die bei Außenstehenden nur Kopfschütteln hervorruft, dem Betroffenen aber so einleuchtend erscheint, daß er jedem Zweifler mit Mißtrauen begegnet. Getragen von diesem Mißtrauen, ging Anne daran, nach einem Experten zu suchen, der ihr den Inhalt des Pergaments erklären konnte. Aber weil sie fürchten mußte, man könnte ihr unangenehme Fragen wegen Herkunft und Verbleib des Dokumentes stellen, wandte sie sich nicht an einen anerkannten Experten für koptische Kunst und Geschichte, sondern sie nahm die Dienste eines stadtbekannten Expertisenvermittlers in Anspruch, der gegen Bares Spezialisten für jedes nur erdenkliche Fachgebiet vermittelte, meist uralte, halb blinde emeritierte Professoren oder versoffene Privatgelehrte mit durchaus respektablem Wissen, welche Gutachten nach den Wünschen des Auftraggebers zu schreiben bereit waren.
    Dr. Werner Rauschenbach gehörte zu letzteren. Er bewohnte eine Mansardenwohnung in der Kanalstraße, deren Häuser besondere Verkommenheit, aber niedrige Mieten aufwiesen. »Vorsicht im Treppenhaus!« hatte er Anne am Telefon gemahnt. »Die Stiegen haben Löcher, und das Treppengeländer hält auch nicht mehr viel aus!« Er hatte nicht übertrieben.
    Rauschenbachs Wohnung erwies sich in mehrfacher Hinsicht als bemerkenswert, sie zeichnete sich vor allem durch zwei Dinge aus, von denen Anne noch nie so viele auf einem Fleck gesehen hatte: Bücher und Flaschen, eine gar nicht seltene Kombination, aber unerwartet in dieser Anhäufung. Bücher waren an den Wänden gestapelt, die meisten ohne die stützende Hilfe eines Regals, kniehohe Stöße von Gedrucktem standen scheinbar ungeordnet auf dem Boden herum, dazwischen Flaschen, kantige Rotweinflaschen. Die einzige freie Wandfläche des düsteren Arbeitsraumes nahm ein vergilbtes Illustriertenfoto von Rita Hayworth aus den vierziger Jahren ein.
    Dort schien die Zeit Rauschenbachs stehengeblieben zu sein; hier hatte er seine Traumwelt aus Suff und Wissenschaft gezimmert, die er unaufgefordert vor jedem rechtfertigte, der ihn besuchte. Und so mußte auch Anne eine ganze Biographie über sich ergehen lassen, nicht ohne Mitgefühl übrigens, weil die Geschichte zeigte, daß ein Mensch, einmal aus der Bahn geworfen, kaum eine Chance hat, sich wieder mit dem normalen Leben zu arrangieren. Meist beginnt dies mit einer gescheiterten Ehe, und bei Rauschenbach war das nicht anders. Ob Alkohol die Ursache für das Scheitern oder das Scheitern Ursache für den Alkohol war, ging aus seiner Schilderung nicht eindeutig hervor.
    Der Vater, so mußte Anne sich anhören, habe sein Geld, das er als Tuchhändler verdiente, zielstrebig verspielt. Er selbst habe Kindheit und Jugend in einem frommen Heim verbracht, was die Ursache dafür sei, daß er noch heute einen Bogen um jede Kirche und jeden Pfaffen schlage.

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