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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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sich umgehend auf ihrem Polizeirevier melden. Der Grund für diese Aufforderung wurde ihr sehr schnell klar, als sie die Haustür öffnete. Einbrecher hatten das ganze Haus durchwühlt, Schränke und Kommoden aufgebrochen, den Inhalt wahllos verstreut, Bücher aus den Regalen gerissen, Bilder abgehängt, sogar die Teppiche umgedreht.
    Als sie sich dem Chaos gegenübersah, setzte sich Anne auf einen Stuhl und heulte. Zu ihrem Erstaunen hatten die Einbrecher weder das kostbare Silbergeschirr noch die Porzellanfigurensammlung mitgenommen; ja, nach einer ersten Bestandsaufnähme stellte sie fest: Es fehlte überhaupt nichts, nicht einmal das Bargeld, ein paar hundert Mark, das offen in einem Barocksekretär herumlag.
    Damit schien klar, daß hier nicht gewöhnliche Einbrecher am Werk waren, sondern daß die Tat im Zusammenhang mit dem verfluchten Pergament stand. Kein Zweifel, die Leute hatten im Haus nach dem Pergament gesucht, nichts gefunden und waren unverrichteter Dinge wieder verschwunden. Leute, die bereit sind, für ein Pergament eine Dreiviertelmillion zu bezahlen, vergreifen sich nicht an Silber.
    Doch da gab es einige Ungereimtheiten in ihren Überlegungen: Etwa warum die Leute mit ihr in Berlin verhandelten, während sie in München in ihr Haus einbrachen. Oder warum ihnen ihre, Annes, Abwesenheit bekannt war, nicht aber der Tod ihres Mannes.
    Auf dem zuständigen Polizeirevier erfuhr sie, daß Nachbarn den Einbruch gemeldet hätten, nachdem ihnen zwei verdächtige Gestalten mit Taschenlampen im Garten aufgefallen waren. Man teilte ihr auch mit, die Untersuchungen an dem Unfallwagen hätten weder einen technischen Defekt noch einen Fremdeinfluß erkennen lassen; mit anderen Worten, Guido habe seinen Tod selbst verschuldet, menschliches Versagen – die teilnahmsloseste Bezeichnung, die es für den Tod eines Menschen gibt.
    In einem Umschlag überreichte ihr der Beamte einige belanglose Dinge, die bei der Untersuchung des Wagens gefunden worden waren, darunter ein lange vermißter Briefkastenschlüssel, eine Kreditkarte mit ähnlicher Geschichte, ein zerbrochener Füllfederhalter, den sie bei Guido, soweit sie sich erinnern konnte, nie gesehen hatte, und – eine Filmpatrone. Die Kamera, die stets im Handschuhfach des Wagens gelegen hatte, fehlte, und ihre Rückfrage wurde dahingehend beantwortet, in dem Autowrack sei keine Kamera gefunden worden.
    In einer so ausweglosen Situation wie dieser, die, wie es schien, nicht nur eine Ursache und nicht nur ein Motiv hatte – a) wollte Anne immer noch wissen, mit wem ihr Verblichener seine angeblichen Dienstreisen verbracht hatte, b) interessierte sie sich dringend für den Verbleib des Pergaments; eine Dreiviertelmillion war schließlich kein Pappenstiel, und c) ging es ihr darum, Licht in eine Angelegenheit zu bringen, in die sie, ohne es zu wissen, tiefer verwickelt war, als ihr lieb sein konnte –, in einer solchen beinahe metaphysischen Situation greift man nach jedem Strohhalm: Insgeheim hoffte Anne, als sie den Film zur Entwicklung gab, Schnappschüsse der Geliebten ihres Mannes zu entdecken; sie suchte ja nur nach einer Bestätigung für ihre Vermutung. Dann wäre ihre Welt zumindest in dieser Hinsicht wieder in Ordnung gewesen; sie hätte schlecht gedacht über Guido und die Männer im allgemeinen und vielleicht den Entschluß gefaßt, sich an der erwähnten Allgemeinheit auf diese oder jene Weise zu rächen.
    Deshalb war Anne von Seydlitz zunächst enttäuscht, als sie den entwickelten Film ausgehändigt bekam und statt irgendwelcher pikanter Schnappschüsse einer Bildserie ansichtig wurde, die an Langeweile kaum zu überbieten war, sie aber schon im nächsten Augenblick elektrisierte wie ein Schlag aus der Steckdose. Man sah Aufnahmen von einem zerfledderten Schriftstück, sechsunddreißigmal ein und dasselbe Motiv.
    Das Pergament! Anne preßte die Hände vor den Mund. Bei näherer Betrachtung der Negative war zu erkennen, daß die Aufnahmen offenbar in großer Eile im Freien gemacht worden waren, indem irgend jemand das kostbare Objekt in die Kamera gehalten hatte. Wiguläus, den Anne sofort in Verdacht hatte, stritt seine Mitwirkung an den Aufnahmen ab, bekräftigte jedoch, das Original zu kennen, es jedenfalls im Tresor des Ladengeschäfts gesehen zu haben, ein Umstand, der ihn verwundert habe, weil im Tresor nur Objekte von hohem Wert wie Schmuck oder Goldkunst aufbewahrt worden seien. Auf die Frage, ob Guido je über das Pergament geredet habe,

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