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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Früh, allzufrüh, verbesserte er sich, habe er eine ältere Frau geheiratet, mit weißem Kleid und grünen Myrten, aber das sei auch das einzige gewesen, was an eine Ehe erinnert habe. Die Frau habe mehr ausgegeben, als er verdiente – Kunsthistoriker werden nicht unbedingt gut bezahlt –, Schulden, Verlust der Arbeit, Scheidung, Gott sei Dank keine Kinder.
    Während dieser Lebensbeichte dudelte irgendwo ein Plattenspieler den Gefangenenchor ›Teure Heimat‹, was zu ertragen gewesen wäre, hätte das Gerät nicht ständig dieselbe Platte wiederholt. Rauschenbach, von Natur mager und hochgeschossen mit aus dem Kopf quellenden Augen, saß, während er redete, auf einem uralten, knarrenden Holzstuhl und sagte, als er endlich sein Schicksal mit Worten bewältigt hatte: »Was ist Ihnen die Expertise wert, Frau Seiler?«
    »Seydlitz«, korrigierte Anne ihn höflich und fügte hinzu: »Das ist ein Mißverständnis.« Und dabei zog sie eine große Fotografie aus einem Umschlag. »Ich will von Ihnen keine Expertise. Sehen Sie, ich habe hier die Kopie eines Pergaments. Von Ihnen möchte ich nun wissen, worum handelt es sich bei diesem Objekt, was ist der Inhalt des Textes, und welchen Wert würden Sie für das Original ansetzen?«
    Rauschenbach nahm die Kopie in die Hand und musterte sie mit weit ausgestreckten Armen. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er gerade Essig getrunken.
    »Tausend«, sagte er, ohne den Blick von der Fotografie zu wenden, »fünfhundert sofort, Rest bei Lieferung des Gewünschten, keine Rechnung.«
    »Einverstanden«, entgegnete Anne, die schnell begriffen hatte, daß ein armer Hund wie Rauschenbach nicht aus Liebe zur Kunst arbeitete, sondern um zu überleben. Sie zog fünf Scheine aus ihrer Handtasche und legte sie auf den schwarzgestrichenen Küchentisch, der als Schreibtisch diente. »Wie lange werden Sie dafür brauchen?«
    »Kommt drauf an«, meinte der Dürre und ging zu dem einzigen Mansardenfenster, das den Raum dürftig erhellte. »Kommt ganz darauf an, womit wir es hier zu tun haben. Das Original steht Ihnen nicht zur Verfügung, Frau Seiler?«
    »Seydlitz.« Anne zeigte sich bemüht, möglichst wenig Information über das rätselhafte Pergament herauszugeben. »Nein«, sagte sie knapp.
    »Verstehe«, knurrte Rauschenbach unwillig. »Hehlergut?«
    Da brauste Anne auf: »Ich muß doch sehr bitten, Herr Doktor Rauschenbach! Mir ist das Pergament zum Kauf angeboten worden, und ich möchte von Ihnen wissen, ob es sein Geld wert ist – vor allem, was es ist. Aber wenn Sie Bedenken haben …« Anne machte das einzig Richtige, was sie in dieser Situation tun konnte: Sie gab vor, das Geld wieder einstecken zu wollen, und damit zerstreute sie mit einem Mal alle Bedenken des Mannes.
    »Nein, nein«, rief dieser, »verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich bin ein vorsichtiger Mann, ich darf mir in dieser Hinsicht einfach nichts zuschulden kommen lassen. Sie dürfen nicht glauben, ich wüßte nicht, daß alle Leute, die zu mir kommen, einen Grund dafür haben. Schließlich gilt Professor Guthmann als der Experte schlechthin. Natürlich haben auch Sie einen triftigen Grund, gerade zu mir zu kommen, aber das soll mich nicht stören, solange das alles unter uns bleibt – wenn Sie verstehen, was ich meine, Frau – Seydlitz.«
    Immerhin hatte er schon ihren Namen behalten, dachte Anne, und zur selben Zeit wurde ihr bewußt, daß dieser Kerl, der in der Hauptsache von Menschen aufgesucht wurde, die etwas zu verbergen hatten, immer für eine Erpressung gut war. Der Gedanke bereitete ihr Unbehagen, aber noch ehe sie die mißliche Idee weiterverfolgen konnte, begann Rauschenbach, in die Fotografie vertieft wie ein Kriminalist, langsam zu sprechen:
    »Soweit ich das erkennen kann, handelt es sich hier um ein koptisches Blatt, die Schrift ist jedenfalls griechisch, mit demotischen Schriftzeichen durchsetzt, typisch für das Koptische der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Das würde bedeuten – vorausgesetzt das Pergament ist echt und keine Fälschung, was ich aber nur anhand des Originals feststellen könnte –, das Objekt ist mindestens eineinhalbtausend Jahre alt.«
    Rauschenbach fühlte, daß Anne ihn aufgeregt anstarrte, und er versuchte ihre Erwartungen von Anfang an zu dämpfen: »Ich hoffe, Sie nicht zu enttäuschen, wenn ich Ihnen sage, daß Blätter dieser Art gar nicht selten und infolgedessen auch nicht besonders wertvoll sind. Man hat sie zuhauf in Klöstern und Höhlen

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