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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Lundström. Wir heirateten, aber dann stellte sich heraus, daß ich der bessere Wissenschaftler war. Jan hat nicht verkraftet, daß ich und nicht er den Lehrstuhl für Neurophysiologie an der Universität Göteborg bekommen habe. Jan begann zu trinken, schließlich verlor er sogar seine Assistentenstelle, er prügelte mich und sabotierte meine Arbeit. Eines Tages habe ich alles hingeworfen.«
    Guthmann betrachtete die Frau, die mit einem Mal hilflos und anlehnungsbedürftig wirkte und in einem Anflug von Trauer vor sich auf den Tisch starrte, als würde sie in ihrem Schicksalsbuch lesen. Die Härte, die sonst von ihrem Gesicht ausging, schien auf einmal verflogen.
    »Und womit beschäftigt Ihr Euch hier in Leibethra?« erkundigte Guthmann sich vorsichtig.
    Helenas Gesichtsausdruck veränderte sich, als kehre sie aus einer anderen Welt zurück: »Mir wurde von Heraklit aufgetragen, das biologische Erbe der drei Haupthirntypen zu analysieren und in Verbindung damit das Rätsel der Gefühle zu lösen; denn wer die Gefühle beherrscht, beherrscht die Menschheit.«
    »Und seid Ihr einer Lösung nahegekommen?«
    »Von der Evolution her, ja, aber wenn es um die kollektive Steuerung der Gefühle geht, so bin ich von einer Lösung noch weit entfernt.«
    »Helena, das müßt Ihr mir erklären!« meinte Guthmann begeistert.
    »Nun ja, die Zielsetzung ist einfach. Es geht darum, eine Kategorie Menschen, einen Berufsstand, eine Altersklasse, ein ganzes Volk mit ein und demselben Gefühl auszustatten. Also zum Beispiel: Alle Araber lieben alle Israeli. Oder: Alle Deutschen lieben alle Franzosen. Ihr versteht, was das in letzter Konsequenz bedeutet: Es gibt keine Kriege mehr.«
    »Aber«, wandte Guthmann ein, »in der Umkehrung würde das bedeuten, wer die Formel hat, kann auch den Haß schüren, kann Araber auf Israeli, Deutsche auf Franzosen hetzen und von sich und seinen eigenen Problemen ablenken.«
    »Es gibt bereits Drogen, die, gezielt verabreicht, den menschlichen Willen beeinflussen. Ihr Vorgänger, Professor Vossius, war drauf und dran, vom Eiffelturm zu springen. Glauben Sie, er hätte das aus freien Stücken getan?«
    »Dann haben Sie hier in Leibethra die Macht über Leben und Tod?«
    »Genauso ist es, Professor, und deshalb nehmen wir die Problemstellung auch so ernst. Nur, wie gesagt, eine Lösung der globalen Probleme ist noch nicht in Sicht.«
    »Und das alles hängt mit dem biologischen Erbe der drei Haupthirntypen zusammen? Könnt Ihr mir das näher erklären?«
    Jetzt war Helena in ihrem Element: »Das menschliche Gehirn setzt sich aus drei konzentrischen Teilen zusammen, die erst im Laufe der Evolution entstanden sind. Der innerste ist der Hirnstamm, auch Reptiliengehirn genannt, weil er diesen Lebewesen noch heute zu eigen ist. Dieser Hirnstamm speichert nur Instinkte, Freßgewohnheiten, Angriff und Verteidigung. Darüber liegt das Zwischenhirn. Es ist eine Weiterentwicklung des Erwähnten und gerade ein paar hundert Millionen Jahre alt, also eine Errungenschaft der Säugetiere. Und bei diesen taucht zum ersten Mal der Begriff Gefühl auf: Angst und Aggression, aber auch Vorsicht und Zeitraum. Den Homo sapiens aber macht erst das darüberliegende Großhirn aus. Aber – und das ist das Hauptproblem meiner Arbeit – eine Information, die in das Großhirn gelangt, muß zuvor Reptiliengehirn und Zwischenhirn durchlaufen, sie ist deshalb immer mit Gefühlen behaftet. Ihr könnt Euch vorstellen, welche Möglichkeiten sich eröffnen, im positiven wie im negativen Sinne, wenn diese Funktionen steuerbar sind.«
    »Und wie soll man sich eine derartige Steuerung vorstellen?«
    »Kurzfristig durch Drogen, durch Beimengungen im Trinkwasser oder Kunstdünger. Langfristig durch Genmanipulationen.«
4
    H elena faszinierte den Professor auf ungewöhnliche Weise. Das Herbe, Männliche in ihrem Verhalten übte einen eigenartigen Reiz auf ihn aus. Hinter der schmalen schwarzen Brille verbargen sich große, dunkle Augen, und er war nicht sicher, ob der Grund für diese Brille in einer Kurzsichtigkeit oder ganz einfach in dem Bedürfnis lag, diese zauberhaften Augen dem direkten Anblick anderer zu verweigern, so wie Dessous nicht dem Wärmen, sondern der herausfordernden Verhüllung dienen.
    Als schiene sie seine Gedanken zu erraten, fragte Helena, ohne Guthmann anzusehen: »Woran denkt Ihr?«
    »Oh, ich … ich bin fasziniert«, stotterte Guthmann verlegen. »Ich weiß gar nicht, ob ich hier mit meinem bescheidenen Wissen

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