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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zusammen das Pentagramm, das über unserer Bewegung schwebt.« Helena zeichnete mit dem Finger einen unsichtbaren Fünfstern auf den Tisch. »Dieser Stern ist das Zeichen der Allmacht und der geistigen Selbstherrschaft. Ihr könnt es drehen, wie Ihr wollt, es behält immer dieselbe Form. Eine Spitze ist Orpheus, die zweite Thales, Anaximenes ist die dritte, und Heraklit und Anaximander stellen die beiden anderen Spitzen dar. Deshalb sprechen wir vom Pentagramm. Wir könnten auch sagen, sie sind der Senat oder auch die Chefetage. Also: An der Spitze steht Orpheus, ihm beigeordnet sind die vier Elemente. Thales steht für das Wasser, und er ist zuständig für alle Angelegenheiten der Wissenschaft, der Religionen und Kirchen. Anaximenes repräsentiert die Luft. In seinen Aufgabenbereich fallen Kunst und Geschichte. Heraklit, der das Feuer symbolisiert, ist ein Großmeister der Philosophie und der Seelenkunde und, nebenbei gesagt, mein Meister. Und Anaximander, der die Erde als sein Element erkennt, beantwortet alle Fragen der Technik und Zukunft. Zusammen beherrschen sie den Kosmos in allen Fragen. Aber sie sind nicht allein in ihrem Fachgebiet. Ein jeder von ihnen hat vier Adlaten mit spezieller Fachrichtung und unterschiedlicher Muttersprache.«
    Es wurde die Hauptspeise serviert, ein vorzügliches Reisgericht mit Auberginen und Rosinen, dazu ein herber Rotwein, und Guthmann, der nun vermuten durfte, daß er in Thales' Diensten stehen würde, vielleicht gar als Adlatus, stellte die Frage: »Was hat es mit dem Pentagramm auf sich; ich meine, wie setzt sich die Chefetage zusammen? Oder anders gefragt: Warum seid Ihr Adlatus von Heraklit und nicht umgekehrt?«
    Über Helenas ernstes Gesicht huschte ein Lächeln. »Die Mitglieder des Pentagramms«, erwiderte sie nüchtern, »werden von uns allen gewählt. Es steht jedem frei, seine Weisheit zu demonstrieren. Schätzt ihn die Gemeinschaft höher als seinen Vorgesetzten, so wird dieser Adlatus und jener sein Vorgesetzter.«
    »Und das kommt öfter vor?«
    »Nicht oft, aber es kommt vor. Zuletzt bei Thales. Thales war sechs Jahre Adlatus eines anderen; dann machte er eine atemberaubende Entdeckung. Aber sein Adlatus behauptete, es sei seine Entdeckung, und darüber gerieten sie in erbitterten Streit. Wir alle standen vor der Entscheidung, den einen oder den anderen zu wählen. Der Aufstieg des einen hätte den Abstieg des anderen bedeutet, denn zwei konnten nicht das Element des Wassers repräsentieren. Also forderten wir sie auf, Beweise für ihre Hypothese zu erbringen. Orpheus setzte einen hohen Betrag aus für die wissenschaftlichen Recherchen, aber schon bald wurde deutlich, daß beide voreilig geprahlt hatten. Thales ist bis heute den Beweis schuldig geblieben, sein Rivale ist von einer Recherchenreise nach Frankreich, wo er die Lösung zu finden glaubte, nicht zurückgekehrt. Aber aus der Tatsache, daß er Euch aus Berlin mitgebracht hat, darf man wohl schließen, daß er der Lösung nahe ist. Oder hat er sie bereits in der Tasche?«
    Guthmann machte eine Handbewegung, die besagen sollte, davon sei man noch weit entfernt. Insgeheim begann er sich indes zu fragen, ob er wirklich die rechte Wahl getroffen hatte, ob er nicht in Leibethra vom Regen in die Traufe kam. Aber er verdrängte den Gedanken rasch und meinte: »Ehrlich gesagt, ich weiß noch nicht einmal genau, worum es eigentlich geht. Thales erging sich nur in Andeutungen, er suchte einen Experten für koptische Papyri und fragte mich, ob ich bereit sei, für ihn und seine Organisation zu arbeiten.«
    »Organisation?« unterbrach Helena. »Thales sagte wirklich Organisation?«
    »Nun gut, er mag sich anders ausgedrückt haben, jedenfalls kam mir sein Angebot sehr gelegen. Ich will ehrlich sein, ich befand mich gerade in einer Krise – eine bevorstehende Scheidung, bei der ich den größten Teil meines Vermögens verloren hätte, und der Wissenschaftsbetrieb, der mehr Verwaltung als Forschung abverlangt. Da erschien mir die Möglichkeit, alles von heute auf morgen hinter sich zu lassen, überaus reizvoll.«
    Helena nickte zustimmend: »Die meisten von uns haben ein ähnliches Schicksal.«
    »Und Ihr?« fragte Guthmann neugierig.
    »Was gibt es da schon zu berichten«, erwiderte Helena in einem Anflug von Bitterkeit. »Er hieß Jan, war Holländer und wie ich Neurophysiologe. Wir lernten uns im Neurophysiologischen Institut der Universität Göteborg kennen. Ich bin Schwedin, müssen Sie wissen, heiße Jessica

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