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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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amüsierten sie. »Ich glaube, du bildest dir ein, du könntest die Zeit zurückdrehen und ausgerechnet bei mir damit anfangen!« Nach der Trennung, die David hart genug angekommen war, hatte sie seiner Einschätzung nach so ziemlich mit jedem Angestellten von Sissons Blend & Co. geschlafen, auch mit den weiblichen – zumindest hätte es ihn nicht gewundert. Übrigens war sie heute Abend hier, in Feuerrot mit schwarzer Spitze, der witzigen Version eines Flamenco-Kostüms, das ihren Kopf frappierend zur Geltung brachte, ganz im Stil der
Roaring Twenties
, mit glattem schwarzem Haar, das im Nacken spitz zulief, zwei glänzenden schwarzen Sechsen vor den Ohren und einem ebensolchen Kringel auf der Stirn. Sie winkte heftig zu David herüber und warf ihm von der Stelle, wo sie sich mit ihrem Partner drehte, über alle Köpfe hinweg eine Kusshand zu, und er lächelte kameradschaftlich zurück: Nein, er war ihr nicht böse.
    Was Harriet betraf, so war sie noch Jungfrau. »Heutzutage!«, hätten ihre Freundinnen wahrscheinlich gekreischt. »Bist du wahnsinnig?« Sie selbst empfand ihre Jungfräulichkeit nicht als einen Zustand, der unbedingt verteidigt werden musste, sondern mehr als ein Geschenk, das sie aufbewahrte, bis sie es, sorgsam in ausgesucht hübsches Papier gewickelt, mit Diskretion dem richtigen Empfänger würde überreichen können. Sogar ihre eigenen Schwestern lachten sie aus, und die Kolleginnen im Büro machten belustigte Gesichter, wenn sie erklärte: »Tut mir leid, ich habe keinen Sinn für dieses Überall-Rumschlafen, das ist nichts für mich.« Sie wusste, dass man über sie als einen interessanten Fall redete, und zwar vorwiegend auf wenig freundliche Weise. Mit der gleichen eisigen Verachtung, die wohl die anständigen Frauen der Großmüttergeneration in ihren Ton gelegt hatten, um zu sagen: »Sie ist absolut unmoralisch« oder »Was kann man von der schon erwarten« oder »Sie hat keinen Ruf mehr zu verlieren« – im Vokabular der Müttergeneration klang »Sie ist mannstoll« oder »Sie ist eine Nymphomanin« so –, im genau gleichen Ton sagten die aufgeklärten Mädchen von heute hinter Harriets Rücken: »Es muss an einem Kindheitstrauma liegen, dass sie so geworden ist. Armes Ding.«
    Tatsächlich hatte sie sich schon manchmal unglücklich oder unzulänglich gefühlt, weil die Männer, mit denen sie gelegentlich essen oder ins Kino ging, ihre unnahbare Haltung sowohl für krankhaft verschroben als auch für kleinlich hielten. Eine Zeit lang war da eine jüngere Freundin gewesen, mit der sie sich gut verstanden hatte, aber dann war auch die »wie alle anderen« geworden, wie Harriet es, jede Hoffnung verlierend, definierte, wobei sie sich selbst zunehmend als Außenseiter betrachtete. Sie verbrachte viele Abende allein, und am Wochenende fuhr sie oft nach Hause zu ihrer Mutter Dorothy, die sie mit den Worten tröstete: »Du bist eben ein bisschen altmodisch, das ist alles. Und jede Menge Mädchen wären gern ebenso, wenn man sie nur ließe.«
    Jetzt gingen diese beiden Abweichler, Harriet und David, aus ihren weit entfernten Ecken aufeinander zu, genau im selben Moment. Das sollte sich später als wichtig erweisen, denn besagte Betriebsfeier wurde zum Teil ihrer Geschichte. »Ja, genau gleichzeitig …« Sie mussten sich durch Menschenknäuel drängen, die gegen die Wände gequetscht dastanden, und sie hielten dabei ihre Gläser hoch über ihre Köpfe, um den Tänzern nicht damit in die Quere zu kommen. Und so trafen sie endlich aufeinander und lächelten, vielleicht ein bisschen verlegen, und er nahm sie bei der Hand, und sie drängelten sich aus dem Tanzsaal in das Nebenzimmer, in dem das kalte Buffet stand und das ebenso voll von lärmenden Leuten war, und von dort in den Korridor, der nur spärlich von knutschenden Pärchen bevölkert war, und schließlich stießen sie die erste Tür auf, deren Klinke ihrem Druck nachgab. Sie befanden sich in einem Büro mit einem Schreibtisch, ein paar harten Stühlen und einem Sofa. Stille … wenigstens beinahe. Sie seufzten. Sie stellten ihre Gläser ab. Sie setzten sich einander gegenüber, um sich nach Herzenslust ansehen zu können, und dann begannen sie zu sprechen. Sie redeten, als wäre ihnen beiden die Sprache bisher verwehrt gewesen, als wären sie ganz ausgehungert nach Gesprächen. Und so saßen sie, nah beieinander, und redeten, bis der Lärm in den Räumen jenseits des Korridors nachließ, und dann gingen sie ruhig aus dem Haus und in

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