Das fuenfte Maedchen
er hätte sie nicht umgebracht.«
»Und?«
»Er ist erst gar nicht auf den Gedanken gekommen. Es kam ihm nie in den Sinn. Es gab nichts, was er hätte beteuern müssen. Verstehst du? Er ist weggelaufen, weil er sie verloren hatte. Nicht weil er schuldig war. Er hat nicht einmal den Gedanken gehabt, irgendjemand könnte denken, er sei es gewesen.«
Foley sah nicht überzeugt aus.
»Ist egal, was du denkst. Oder was ich denke. Es war Tom.«
Ich umklammerte meine Knie, kaum fähig, mein rasendes Hochgefühl im Zaum zu halten. Ein solch seltsames, verwirrendes Gefühl. Toms Festnahme und Schuld machten mich fassungslos und doch auch wieder nicht. Er war zurückgekommen und hatte in Breakness herumgehangen und ich hatte mich noch schlechter gefühlt als zuvor. Und mir wurde klar, dass ich mir seit Langem schon wünschte, ihn hassen zu können. Nun konnte ich es, und das zu Recht. Auf irgendwie verrückte Weise hatte sich alles geregelt.
Foley rang die behandschuhten Hände, schlug sie gegeneinander, als würde er versuchen, warm zu werden. Feigling. Seine Wangen waren rosig von dem anstrengenden Spaziergang. Er wollte einfach nicht mehr darüber reden.
Und das war okay für mich.
Siebenundzwanzig
Das Fu-Ling-Schild war erneut mutwillig beschädigt worden. Das war das Erste, das mir auffiel, als ich mit meiner Zeitung und einer Tüte Chips aus dem Co-op kam. Eine mit Farbe bespritzte Metallleiter versperrte mir den Weg, und Mr Fu Ling stand obendrauf mit einem Eimer und einer Bürste. Als er mich sah, lächelte er und nickte schweigend.
Ich blieb einen Moment lang stehen und erwiderte sein Lächeln. Und dann wollte ich an seiner Tür vorbeigehen, musste aber stehen bleiben, weil jemand herauskam.
Tom Jerrold lieà die Tür zuschwingen, aus der noch Mrs Fu Lings kreischender Abschiedsgruà drang. In einer Papiertüte trug er das Essen, das er mitgenommen hatte. Es roch vertraut nach Sechuan-Hühnchen und gebratenem Reis mit Ei. Es war ein so normaler Geruch und ein so normaler Anblick, dass ich eine Weile lang nicht einmal reagierte. »Eine Weile« fühlte sich an wie eine Stunde, aber in Wirklichkeit waren es nur wenige Sekunden.
Ich blieb stehen. Mir blieb keine andere Wahl, denn meine Beine gehorchten mir nicht mehr.
Ich starrte Tom Jerrold an und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, als er mich ansah. Er war natürlich auch stehen geblieben. Doch einen Augenblick später ging er einfach weiter, nahm die Papiertüte in die andere Hand und steckte seine Brieftasche in die hintere Jeanstasche. Er nickte nicht und er lächelte auch nicht. Er schnitt mich.
Er schnitt mich.
Mr Fu Ling, der sich des opernhaften Dramas, das sich zu seinen FüÃen entfaltete, nicht bewusst war, schrubbte weiter sein Schild. Nachdem ich eine Weile lang dem Kratzen seiner Bürste zugehört hatte, setzten sich meine Beine wieder ruckartig in Bewegung, als wäre ich nie stehen geblieben. Wie die Aufnahme einer Ãberwachungskamera, so als hätte jemand die Pause-Taste gedrückt. So als wäre ich ein Geist.
Man sieht Bilder einer Ãberwachungskamera immer nur dann, wenn jemand tot ist. Das ist mir aufgefallen. Wenn dein Ãberwachungskamera-Bild gezeigt wird, bist du bereits ein Geist, der ruckartig vorwärtsspringt und immer wieder in den Zehn-Uhr-Nachrichten zu sehen ist. Im Zusammenhang mit diesen Kameras beunruhigt mich nicht die Frage der Privatsphäre, sondern die Art, wie sie deinen gewaltsamen Tod vorhersagen. Sie nehmen dich auf für den Fall, dass du nie wieder gesehen wirst. Es sind diese Kameras, die ich über mein Grab spazieren spüre; kleine Terminator-Maschinen. Es ist dieser Auslöser, den ich höre: Klick. Klick. Klick. Und du bist gestorben.
Man hatte ihn freigelassen.
Wie war er ungestraft davongekommen?
Die Kameras verloren sich an der StraÃenecke, und ich fühlte mich, als sei ich tot. Ich kann mich nicht daran erinnern, die Haustür aufgeschlossen zu haben und hineingegangen zu sein, aber ich erinnere mich, dass ich die Tür hinter mir abschloss, völlig angekleidet unter die Bettdecke kroch und weinen wollte, aber nicht dazu fähig war.
Ich schlief nicht viel. Ich ging nicht ans Telefon, wenn es klingelte. Ich sehnte mich verzweifelt danach, mit Foley zu sprechen, doch jedes Mal, wenn ich seine Nummer sah, die im Dunkeln unter der Bettdecke aufleuchtete, fiel mir
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