Das fünfte Paar
von Vermißten in Zeitungen, kummervolle Eltern bei Fernsehinterviews - und an meinem Telefon.
»Es tut mir leid wegen Ihrer Tochter.«
»Bitte sagen Sie mir, wie meine Kleine gestorben ist. O mein Gott - hat sie leiden müssen?«
»Die Todesursache steht noch nicht fest, Mrs. Bennett. Mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen.«
»Soll das heißen, Sie wissen es nicht?«
»Es sind nur noch Knochen übrig, Mr. Martin. Wenn das Gewebe fehlt, sind damit auch die Hinweise auf oberflächliche Verletzungen verschwunden, und es ist äußerst schwierig...«
»Ich denke, Sie haben Medizin studiert - also sagen Sie mir, was meinen jungen umgebracht hat. Die Cops haben was von Drogen gefaselt. Hören Sie das, Lady? Er ist tot, und die wollen einen Junkie aus ihm machen!«
Chief Medical Examiner ratlos: Dr. Kay Scarpetta unfähig, Todesursache zu nennen.
Rätselhaft. Acht junge Menschen waren tot, und ich hatte keine Ahnung, woran sie gestorben waren. Jeder forensische Pathologe stößt hin und wieder auf unklare Fälle, aber diese Massierung war höchst ungewöhnlich - und sie schienen auch noch alle miteinander in Zusammenhang zu stehen.
Ich öffnete das Schiebedach, und das schöne Wetter hob meine Stimmung. Es war um die achtundzwanzig Grad warm, und bald würde sich das Laub färben. Nur im Herbst und im Frühling vermißte ich Miami nicht. Die Sommer in Richmond waren genauso heiß, doch es fehlte der Meereswind - und die Luftfeuchtigkeit war grauenhaft. Und auch im Winter litt ich, denn ich verabscheue Kälte. Aber Frühling und Herbst fand ich herrlich hier. Geradezu berauschend.
Der Rastplatz an der I-64 in New Kent County lag, wie sich herausstellte, genau fünfzig Kilometer von meinem Haus entfernt und sah aus wie alle Rastplätze in Virginia: Picknicktische, Grills, Holztonnen für Abfall, gemauerte Toilettenhäuschen, Speisen und Getränke-Automaten und junge Bäume - aber nirgends waren Urlaubsreisende oder Trucks zu sehen. Dafür wimmelte es von Polizeiwagen.
Ein preußischblau uniformierter Trooper kam mit ernster Miene auf mich zu, als ich vor der Damentoilette anhielt.
»Tut mir leid, Ma'am.« Er beugte sich zu meinem offenen Fenster herunter. »Dieser Rastplatz ist heute geschlossen. Ich muß Sie bitten, weiterzufahren.«
»Dr. Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner«, stellte ich mich vor und zog den Zündschlüssel ab. »Ich bin auf Ersuchen der Polizei hier.«
»Zu welchem Zweck, Ma'am?«
»In meiner amtlichen Eigenschaft als staatliche Leichenbeschauerin.«
Er musterte mich skeptisch: Ich sah tatsächlich nicht sehr danach aus: In meinem stonewashed Jeansrock, dem pinkfarbenen T-Shirt mit »Oxford«-Aufdruck und den Sportschuhen war ich bar jeden Statussymbols, und mein Dienstwagen stand zwecks neuer Bereifung in der Werkstatt. Auf den ersten Blick wirkte ich wohl eher wie ein nicht mehr ganz taufrischer Yuppie.
»Können Sie sich ausweisen?«
Ich kramte meine Blechmarke aus der Handtasche und gab ihm zusätzlich meinen Führerschein. Er betrachtete beides eingehend - und wurde sichtlich verlegen.
»Lassen Sie Ihren Wagen ruhig hier stehen, Dr. Scarpetta. Die Leute, die Sie suchen, sind da hinten.« Er deutete in die Richtung des Parkareals für Trucks und Busse. »Schönen Tag noch«, fügte er mit routinemäßiger Höflichkeit hinzu und trat zurück, um mich aussteigen zu lassen.
Als ich um das Häuschen herumgegangen war, sah ich weitere Polizeifahrzeuge, einen Abschleppwagen mit blinkender Lichtleiste und mindestens ein Dutzend Beamte in Uniform und Zivil. Den braunen Jeep Cherokee bemerkte ich erst, als ich fast schon davor stand - etwa auf halber Strecke der Auffahrt, ein gutes Stück von der Fahrbahn entfernt in einer leichten Senke, mit der Nase an einem Baum, dessen Blätter ihn teilweise verdeckten. Ich trat näher heran und schaute durch das Fenster auf der Fahrerseite: Der mit beigem Leder ausgestattete Innenraum war sehr gepflegt, das Gepäck auf dem Rücksitz ordentlich. verstaut. Die Scheiben waren halb heruntergekurbelt. Der Zündschlüssel steckte. Als seien die Insassen des Wagens nur kurz ausgestiegen. Gespenstisch. Die Reifenspuren hatten sich tief in den grasbewachsenen Boden gegraben.
Marino sprach mit einem schlanken blonden Mann, den er mir als »Jay Morrell von der Staatspolizei« vorstellte. Er schien die Aktion zu leiten.
»Kay Scarpetta«, ergänzte ich, als Marino mich lediglich als »Doc« einführte.
Morrell richtete seine dunkle Sonnenbrille auf
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