Das fünfte Paar
an Farmersfrauen, die ich gesehen hatte: Die Gesichter von harter Arbeit und Sonne gegerbt, und eine stoische Ruhe ausstrahlend, die daraus resultierte, daß sie die Natur verstanden und ihre Geschenke und Bestrafungen gleichermaßen akzeptierten.
An der Art, wie sie den Jeep musterte, erkannte ich, daß sie nach Anzeichen dafür suchte, daß die Gerüche verändert worden waren.
»Niemand hat ihn angerührt«, beantwortete Marino ihre unausgesprochene Frage und bückte sich, um einen der Hunde hinter den Ohren zu kraulen. »Wir haben bisher nicht mal die Türen aufgemacht.«
»Wissen Sie, ob sonst jemand dringewesen ist - vielleicht derjenige, der den Jeep gefunden hat?«
»Das Kennzeichen wurde ganz früh heute morgen über Ticker als BOLO'S rausgegeben...« begann Morrell zu erklären.
»Was zum Teufel ist BOLO'S?« unterbrach ihn Wesley.
»Die Abkürzung von "Be an the Lookouts".«
Wesleys Gesicht zeigte nicht die geringste Regung, als Morrell eifrig fortfuhr: »Trooper sind ja meist unterwegs und sehen Telefaxe nicht. Also wurde BOLO'S sofort nach Eingang der Vermißtenmeldung über Funk gesendet, und gegen ein Uhr mittags erhielten wir die Nachricht, daß der Jeep gefunden worden war. Der Beamte, der ihn entdeckte, versichert, er habe lediglich durch die Fenster geschaut, um nachzusehen, ob sich jemand im Wagen befinde.«
Ich hoffte, daß das stimmte. Die meisten Polizisten können der Versuchung nicht widerstehen und öffnen Türen und stöbern auf der Suche nach einem Hinweis auf den Wagenhalter im Handschuhfach herum.
Jeff packte beide Hunde am Geschirr und führte sie Gassi. Gail fragte: »Haben Sie irgendwas, bei dem die Hunde die Witterung aufnehmen können?«
»Pat Harvey ist gebeten worden, etwas mitzubringen, das Deborah kürzlich getragen hat«, sagte Wesley.
Wenn Gail überrascht oder beeindruckt davon war, wessen Tochter sie suchen sollte, so ließ sie es sich nicht anmerken, sah ihn nur fragend an.
»Sie wird per Hubschrauber eingeflogen«, erklärte er und warf einen Blick auf seine Uhr. »Müßte jeden Moment eintreffen.«
»Die sollen ja nicht hier landen!« Gail trat zum Jeep. ,Ich kann nichts brauchen, was die Umgebung in Unordnung bringt.« Sie schaute durch das Fahrerfenster und ließ den Blick aufmerksam durch das Wageninnere gleiten. Dann musterte sie den schwarzen Plastikgriff an der Außenseite der Tür.
»Am ergiebigsten dürften die Sitze sein«, meinte sie. »Wir werden Salty an dem einen schnuppern lassen und Neptune an dem anderen. Aber erst müssen wir mal reinkommen, ohne etwas anzufassen. Hat jemand einen Bleistift oder Kugelschreiber?«
Wesley zog einen Kugelschreiber aus der Hemdtasche und gab ihn ihr.
»Ich brauche noch einen«, sagte sie.
Erstaunlicherweise hatte keiner von uns anderen ein Schreibwerkzeug bei sich. Dabei hätte ich geschworen, in meiner Handtasche mindestens ein halbes Dutzend herumzutragen.
»Wie wär's mit einem Messer?« Marino kramte in seinen Jeans.
»Perfekt.«
Den Kugelschreiber in der einen Hand und das Schweizermesser in der anderen, drückte Gail den Knopf an der Außenseite der Tür hinein und zog gleichzeitig den Griff zurück, hakte dann die Spitze ihres hohen Stiefels unter die Tür und zog sie vorsichtig auf. Das charakteristische Tschoptschoptschop von Rotorblättern wurde hörbar - und rasch lauter. Augenblicke später kreiste ein rotweißer Bell Jet Ranger über dem Rastplatz und sank dann langsam herunter, was unter ihm einen kleinen Hurrikan auslöste. Der Lärm war ohrenbetäubend, die Bäume schwankten, und das Gras wurde flachgedrückt. Mit zusammengekniffenen Augen hockten Gail und Jeff neben ihren Hunden, die Geschirre fest im Griff. Marino, Wesley und ich zogen uns zu den Toilettenhäuschen zurück und beobachteten die Landung von dort. Für einen Moment sah ich Pat Harveys Gesicht - es war völlig ausdruckslos. Dann fing sich das Sonnenlicht in der Glasscheibe der Kanzel und machte sie undurchsichtig.
Sie stieg mit eingezogenem Kopf aus dem Hubschrauber. Der Rock wirbelte um ihre Beine. Wesley wartete in sicherer Entfernung - und dennoch flatterte seine Krawatte über seine Schulter wie der Schal eines Doppeldeckerfliegers. Bevor Pat Harvey zur Verantwortlichen für die landesweite Anti-Drogen-Politik berufen worden war, war sie zunächst Commonwealth-Staatsanwältin in Richmond gewesen und dann US-Bezirksstaatsanwältin für Ost-Virginia. Ihre hochkarätigen Rauschgift-Prozesse hatten gelegentlich auch Opfer
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