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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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einbezogen, die ich auf dem Tisch gehabt hatte, doch ich war nie in den Zeugenstand gerufen worden, man hatte nur meine Berichte angefordert. Mrs. Harvey und ich waren einander bisher nicht begegnet.
    Im Fernsehen und auf Zeitungsfotos wirkte sie immer streng. In natura war sie sehr weiblich und attraktiv, schlank und jugendlich. Die Sonne brachte goldene und rote Lichter in den kurzen kastanienbraunen Haaren über dem feingeschnittenen Gesicht zum Leuchten. Wesley übernahm die Vorstellung, und Pat Harvey gab jedem von uns die Hand - aber sie lächelte nicht und sah auch keinem in die Augen.
    »Ich habe ein Sweatshirt mitgebracht.« Sie gab Gail eine Papiertüte. »Aus Debbies Zimmer in Spindrift.«
    »Wann war Ihre Tochter denn zuletzt dort?« fragte Gail, ohne die Tüte zu öffnen.
    »Anfang Juli. Mit ein paar Freunden. Übers Wochenende.«
    »Und Sie sind sicher, daß sie es getragen hat - nicht eine ihrer Freundinnen?«
    Die Frage traf Mrs. Harvey überraschend. Zweifel stand in ihren dunkelblauen Augen. Sie räusperte sich. »Ich nehme an, daß Debbie es anhatte - aber beschwören kann ich es nicht: Ich war nicht dabei.«
    Sie schaute an uns vorbei in den Jeep, und ihr Blick blieb an dem Zündschlüssel hängen, an dem ein silbernes »D« baumelte. Ich sah, wie sie um Fassung kämpfte. Schließlich wandte sie sich wieder uns zu und sagte mit bewundernswert fester Stimme: »Debbie muß eine Tasche dabeigehabt haben. Leuchtend rot. Aus Nylon. Eine von diesen Sporttaschen mit Klettverschluß. Haben Sie die im Wagen gefunden?«
    »Wir haben ihn noch nicht durchsucht«, erwiderte Morrell. »Das dürfen wir nicht, bevor die Hunde drin waren.«
    »Sie müßte auf dem Vordersitz liegen, möglicherweise auch auf dem Boden.«
    Morrell schüttelte den Kopf.
    Jetzt meldete sich Wesley zu Wort: »Mrs. Harvey - wissen Sie, ob Ihre Tochter eine größere Geldsumme bei sich hatte?«
    »Ich hatte ihr fünfzig Dollar für Essen und Benzin gegeben. Ob sie darüber hinaus etwas mitnahm, weiß ich nicht. Natürlich fuhr sie nie ohne Kreditkarten und Scheckbuch.«
    »Kennen Sie den Stand ihres Bankkontos?«
    »Ihr Vater gab ihr letzte Woche einen Scheck«, antwortete sie. »Fürs College - für Bücher und so weiter. Ich bin ziemlich sicher, daß sie ihn bereits eingereicht hat. Dann müssen mindestens tausend Dollar darauf sein.«
    »Ich möchte Sie bitten, sich zu vergewissern, daß das Geld nicht abgehoben wurde.«
    »Das werde ich nachher sofort tun.«
    Ich sah, wie Hoffnung in ihr erwachte: Ihre Tochter hatte Bargeld, Kreditkarten und ein volles Konto, es sah nicht so aus, als habe sie ihre Tasche im Jeep zurückgelassen, was bedeuten konnte, daß sie wohlauf und mit ihrem Freund durchgebrannt war.
    »Hat Ihre Tochter je gedroht, mit ihrem Freund wegzulaufen?« fragte Marino unverblümt.
    »Nein.« Ihr Blick kehrte zu dem Jeep zurück, und sie fügte hinzu, was sie gern glauben wollte: »Aber das heißt nicht, daß sie es nicht getan hat.«
    »In welcher Stimmung war sie, als Sie das letzte Mal mit ihr sprachen?« forschte Marino weiter.
    »Sie war ärgerlich auf mich«, antwortete sie tonlos. »Es gab einen Wortwechsel, bevor meine Söhne und ich aufbrachen. Gestern früh.«
    »Weiß sie von den verschwundenen Pärchen?«
    »Natürlich. Wir haben darüber diskutiert und Vermutungen angestellt.«
    »Wir sollten anfangen«, wandte Gail sich an Morrell.
    »Sie haben recht.«
    »Noch eins. « Gail sah Mrs. Harvey an. »Können Sie uns vielleicht sagen, wer am Steuer saß?«
    »Fred - nehme ich an: Auf längeren Strecken fuhr meistens er.«
    Gail nickte. »Ich brauche noch mal den Kugelschreiber und das Messer.«
    Nachdem sie beides von Wesley und Marino wiederbekommen hatte, öffnete sie die Beifahrertür. Dann holte sie einen der Hunde. Er bewegte sich, die Nase am Boden, im Gleichschritt mit seiner Herrin, und seine Ohren schleiften durch das Gras, als seien sie mit Blei gefüttert.
    »Los, Neptune - setz deine Zaubernase ein!« Schweigend und voller Spannung beobachteten wir, wie sie Neptune zu dem Platz dirigierte, auf dem vermutlich Deborah gesessen hatte. Plötzlich zuckte er zurück, als sei er auf eine Klapperschlange gestoßen, und riß sich aufjaulend los. Dann stand er mit eingeklemmtem Schwanz da, die goldenschimmemden Rückenhaare wie einen Kamm aufgestellt. Ein eisiger Schauer überlief mich.
    Winselnd und zitternd wie Espenlaub hockte sich Neptune nieder und entleerte seinen Darm.

2
    Als ich am nächsten Morgen

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