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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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mir, Robert Beauchers
Schwindel aufzudecken. Ich war ihm auf den Leim gegangen, hatte seinen Worten
und meinen Augen getraut, war bereit gewesen zu schwören, er hieße Beaucher und
sei groß und stark. Alles falsch. Im Traum kam mir die Erleuchtung. Er war eher
schmächtig und hieß in Wirklichkeit Fred Astaire, stand vor mir und schüttete
sich aus vor Lachen über seinen gelungenen Scherz, steppte vor meinen Augen,
was das Zeug hielt. Und Ginger Rogers war seine Partnerin. Wirklich die Höhe!
Auch sie knallte mit den Absätzen auf den weißen Holztisch. Es machte einen
Höllenlärm. Sie trug das schwarze Trikot von Jackie Lamour, nur Gesicht und
Beine waren zu sehen. Und an den Beinen hatte ich sie wiedererkannt.
Schließlich kenne ich mich auf diesem Gebiet aus! Endlich konnte ich alles
aufklären. Doch ich mußte warten, bis sie ihre Nummer beendet hatten, was eine
Weile zu dauern drohte. Mit Begeisterung bearbeiteten sie den armen Tisch. Ein
Spektakel war das!
    Und da übertönt jemand, den ich nicht
sehe, den Lärm und schnauzt: „Machen Sie endlich auf, verdammte Sch...!“
Plötzlich verändert sich alles. Ich kann die Engländer nicht mehr riechen. Fred
Astaire muß wohl Monocle — so hab ich sie seit der Goldsucherin getauft — etwas Unanständiges über mich erzählt haben. Ich erkläre England und Amerika
den Krieg. Ich befinde mich an der Seite von Cambronne in Waterloo. Wir werden
verprügelt. Die Wache ergibt sich nicht und wird ermordet. Ein schnaufendes
Taxi fährt auf das Schlachtfeld. Marschall Petain steigt aus, gestützt auf
seinen Stock, der lauter auf den Boden hämmert als das steppende Paar. Der
Marschall dekoriert mich mit einem Abzeichen, auf dem gotische Buchstaben und
ein Hakenkreuz abgebildet sind. Tumult. Hitler hält eine seiner typischen Reden
und schmeißt die Möbel um. Die beiden Tänzer steppen weiter. Jetzt packt mich
ein wildes Verlangen, den Führer zu verraten. Neben den Beinen des
kalifornischen Stars verblassen seine Gesten und seine heroischen Phrasen.
Plötzlich dreht sich alles. Ich habe das Gefühl, viel zuviel getrunken zu haben.
Besser, ich gehe in Deckung. Die Flak feuert ihre Salven ab, daß es nur so eine
Freude ist, die Sirenen heulen und...
    Es wurde gegen meine Wohnungstür
gehämmert, und das nicht zu knapp. Hin und wieder wurden wohl auch die Füße zu
Hilfe genommen. Derjenige, der sich so gebärdete, war mindestens so ausfällig
wie Cambronne. An Ginger Rogers erinnerte er allerdings nur entfernt. Davon
konnte ich mich überzeugen, als ich die Tür öffnete.
    „Großer Gott!“ rief einer der beiden
Männer, die vor mir standen. „Sie haben ja einen gesunden Schlaf.“
    „Den des Gerechten“, erwiderte ich.
„Der Beweis für meine Unschuld.“
    „Sagen Sie das nicht zu laut“, riet er
mir. „Der Chef will Sie sprechen.“
    „Der Chef? Der der Kripo?“
    „Ja. Monsieur Harvet.“
    „Ach! Monsieur Harvet? Ich dachte,
Florimond Faroux schickt Sie...“
    „Sie täten jetzt besser daran, sich
anzuziehen“, drängte der Flic. „Wir haben schon genug Zeit mit Wecken
verloren.“
    „Klar“, sagte ich. „Diese Arbeit hat
Kommissar Faroux euch überlassen.“
    Die beiden antworteten nicht. Sie
inspizierten das Zimmer. Machten sozusagen Inventur der Dinge, die sie im Falle
einer Hausdurchsuchung zertrümmern konnten. Ich ging zum Fenster und sah
hinunter auf die Straße. Die Nacht zog herauf. Es nieselte. Passanten eilten
durch die Dämmerung. Ich ging zum Bett zurück. Meine Uhr zeigte halb sechs. Ich
suchte meine Klamotten zusammen, zog mir meine Hose über und ging ins
Badezimmer, um mir ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht zu schütten. Die
Inspektoren folgten mir pflichtbewußt.
    „Wahrscheinlich wegen dem Zug Nr.
108?“ schnaufte ich unter dem Handtuch.
    „Zug Nr. 108?“
    Die braven Beamten!
    „Schon gut“, sagte ich. „Hoffentlich
habt ihr ‘n Wagen dabei.“
     
    * * *
     
    Eine Viertelstunde später betrat ich
ein Büro am Quai des Orfèvres. Die Vorhänge waren zugezogen. Hier litt man
nicht allzu sehr unter der Kohlerationierung. Hinter dem mit Papierkram
überhäuften Tisch thronten Monsieur Arthur Harvet, Monsieur Benoit, ein
Spürhund des Nachrichtendienstes, dann eine Art Mann von Welt, wohl der Chef
des Staatssicherheitsdienstes, und schließlich ein blonder Jüngling mit
militärischer Haltung und ein Kerl mit Zigarre, rotem Gesicht, grünem Hut und
Goldrandbrille, den ich nicht zum ersten Mal zu sehen glaubte. Ein richtiges

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