Das fünfte Verfahren
Tribunal!
„Setzen Sie sich, Monsieur Burma!“
Als ich den Befehl ausgeführt hatte,
legte der Chef der Kripo mir eine geöffnete Akte hin. Sie enthielt eine Menge
Klatsch und Tratsch über mich, von meiner Erstkommunion bis hin zu meiner
letzten Auseinandersetzung mit meinem Hauswirt. Ich überflog den Unsinn,
während ich mir eine Pfeife stopfte.
„Und?“ fragte ich. „Was nun?“
„Was nun?“ bellte Benoît vom
Nachrichtendienst. „Hab den Eindruck, Sie sind ‘n komischer Heiliger, Nestor
Burma!“ Arthur Harvet machte eine ungeduldige Handbewegung und schloß die Akte.
Er schien seinerseits wohl den Eindruck zu haben, daß ich genug gesehen hatte,
um zu wissen, was die Stunde geschlagen hat.
„Wir möchten Sie um einen Gefallen
bitten“, begann er. „Es liegt in Ihrem Interesse und in dem der Justiz, ihn uns
nicht abzuschlagen. Aus bestimmten Gründen halten wir es nicht für opportun,
die Identität des Mannes zu enthüllen, der im Zug Nr. 108 ermordet wurde. Aus
besagten Gründen hätten wir nichts dagegen, wenn die Öffentlichkeit jemand
anders für tot halten würde. Es verhält sich nun so, daß Sie sein Doppelgänger
sind... mehr oder weniger jedenfalls. Wir rechnen mit Ihrem... äh...
Verständnis.“ Ein listiger Seitenblick auf meine Akte. „Kurz und gut, wir
möchten Sie bitten, sich für tot erklären zu lassen.“
Er lächelte. Ein etwas gezwungenes
Lächeln. Erinnerte mich an den Sonderkommissar im Gare de Lyon. Hatte der
verstorbene Serbe geahnt, welchen Ärger er der französischen Polizei machen
würde?
„Sie bekommen ein ehrenvolles
Begräbnis, eines großen Detektivs, wie Sie einer sind, würdig. Erklären Sie
sich einverstanden?“
„Welch eine Frage!“ lachte ich. „Hab
ich die Wahl?“
Er hob die Schultern.
„Es könnte Ihnen Schlimmeres zustoßen
als dieses vorübergehende Verschwinden.“
„Zufällig hatte ich gerade die
Absicht, Urlaub zu machen.“
„Das trifft sich ja ausgezeichnet.
Wohin werden Sie verreisen?“
„Ich habe gehört, gewisse Hotels in
Fontainebleau seien geheizt...“
„Ja, der Schwarze Adler, zum
Beispiel.“
„Also dann, auf in den Schwarzen
Adler ! Aber... hm... da gibt es ein paar Problemchen...“
Er rieb Zeigefinger und Daumen
aneinander.
„Finanzieller Art? Dafür wird
gesorgt.“
„Na prima.“
Ich machte Anstalten, mich zu erheben.
Mein Gesprächspartner bedeutete mir, noch ein wenig zu warten. Der blonde
Jüngling redete nun auf deutsch mit dem Rotgesichtigen, der sich auf
wiederholtes Kopfnicken beschränkte. Dann richtete er den kühlen Blick seiner
blauen Augen auf mich.
„Sie werden es nicht bereuen“, sagte
er langsam.
Ich spielte den pflichtbewußten
Bürger.
„Es ist meine Pflicht, der blinden
Justiz ebenso blind zu dienen“, erklärte ich und lachte mir heimlich ins
Fäustchen.
„Danke.“
Der Staatssicherheitschef, bis zu
diesem Augenblick stumm wie ein Fisch, widmete sich jetzt den Details.
„Sie werden morgen in aller Frühe zu
Hause abgeholt und im Wagen nach Fontainebleau gefahren.“
Ich bedankte mich rundum für ihrer
aller Liebenswürdigkeit und verließ das Büro. Im Flur lief mir Florimond Faroux
über den Weg. Er konnte mir nicht ausweichen, so gerne er es auch getan hätte.
„Keine Angst vor Gespenstern!“
scherzte ich. „Wie Sie bestimmt wissen, bin ich tot.“
Er blickte sich unruhig auf dem leeren
Flur um.
„Seien Sie nicht blöd“, flüsterte er
mir zu. „Legen Sie den legendären Dynamit-Burma auf Eis und halten Sie sich
abseits! Sonst riskieren Sie es, tatsächlich in dem leeren Sarg zu liegen, der
morgen bei Ihnen aus Ihrer Wohnung herausgetragen wird.“
Mit dem deutlichen Gefühl, daß der
kleine Nestor sich wie gewöhnlich in ein ungewöhnliches Durcheinander
verwickelt hatte, begab ich mich auf den Nachhauseweg.
* * *
Durch angestrengtes Nachdenken
angeregt, hegte ich gerade verschiedene Befürchtungen, als das Telefon
klingelte.
„Hallo“, meldete ich mich.
Am anderen Ende wurde aufgelegt.
„Die wollen sich wohl vergewissern, ob
ich auch zu Hause bin“, dachte ich und machte mich daran, mir eine Pfeife zu
stopfen.
Wieder zerriß das Telefon die Stille.
Ich ergriff den Hörer.
„Hallo.“
Mit derselben Diskretion wie beim
ersten Mal wurde aufgelegt.
„Der gute Florimond“, murmelte ich.
Meine Uhr zeigte halb zwölf. Ich
steckte vier Päckchen Tabak ein, sah mich schnell um, ob nichts Verdächtiges
herumlag, zog meinen Trenchcoat über,
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