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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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eine kleine, anonyme Kirche war, in der sie niemand kannte. Nikolaj hatte schon häufiger Mitglieder der norwegischen Staatskirche von ihren Sünden freigesprochen. Wenn Sie darum baten, tat er es, die Gnade des Herrn war unerschöpflich.
    Der Mann räusperte sich. Nikolaj schloss die Augen und versprach sich selbst, seinen Körper zu Hause mit einem Bad und seine Ohren mit Tschaikowsky zu reinigen.
    » Es heißt, dass die Begierde –genau wie das Wasser –immer zur schwächsten Stelle fließt, Vater. Gibt es eine brüchige Stel le, einen Riss oder einen Spalt im Charakter eines Menschen, wird die Begierde sie finden. «
    » Wir sind alle Sünder, mein Sohn. Hast du Sünden zu beke n nen, so sprich. «
    » Ja, ich war der Frau untreu, die ich liebe. Ich war mit einem leichten Mädchen zusammen. Obwohl ich für sie nichts empfi n de, konnte ich nicht anders, als zu ihr zu gehen. «
    Nikolaj unterdrückte ein Gähnen. » Sprich weiter. «
    » Ich … ich war besessen von ihr. «
    » War, sagst du. Willst du damit sagen, dass du sie nicht mehr triffst? «
    » Sie sind tot. «
    Es waren nicht nur seine Worte, sondern vielmehr die Art, wie er es sagte, was Nikolaj stutzen ließ. » Sie? «
    » Sie war schwanger, glaube ich. «
    » Es tut mir Leid, von deinem Verlust zu hören. Weiß deine Frau darüber Bescheid? «
    » Niemand weiß etwas. «
    » Wie kam sie zu Tode? «
    » Durch eine Kugel in den Kopf, Vater. «
    Nikolaj Loeb lief ein Schauer über den Rücken. Er schluckte: » Willst du noch andere Sünden bekennen, mein Sohn? «
    » Ja. Es gibt da jemanden. Einen Polizisten. Ich habe gesehen, wie die Frau, die ich liebe, zu ihm gegangen ist. Am liebsten würde ich … «
    » Ja? «
    » Sündigen. Das ist alles, Vater. Können Sie mir nun die Abs o lution erteilen? «
    Stille breitete sich in der Kirche aus.
    » Ich … «, begann Nikola j.
    » Ich muss jetzt gehen, Vater. Wenn Sie bitte so freundlich sein würden. «
    Nikolaj schloss wieder die Augen. Dann begann er zu lesen. Und öffnete die Augen erst an der Stelle: » Ich erlöse dich von all deinen Sünden, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. « Er schlug das Kreuzzeichen über dem Kopf des Mannes.
    » Danke «, flüsterte der Mann, drehte sich um und verließ schnellen Schritts die kleine Kirche.
    Nikolaj blieb wie angewurzelt stehen und lauschte dem Echo der Worte, die noch zwischen den Wänden hingen. Er glaubte sich jetzt daran zu erinnern, wo er ihm begegnet war. Im Gamle Aker-Gemeindehaus. Der Mann hatte einen neuen Bethlehe m stern gebracht, um den kaputten zu ersetzen.
    Als Priester war Nikolaj an seine Schweigepflicht gebunden, und er hatte auch nicht vor, diese wegen des Gehörten zu bre chen. Aber in der Stimme dieses Mannes hatte etwas mitge schwungen, in der Art, wie er gesagt hatte, dass er am liebsten … ja, was?
    Nikolaj blickte aus dem Fenster. Wo nur blieben die Wolken? Es war inzwischen derart schwül, dass bald etwas kommen musste. Regen. Aber vorher: Blitz und Donner.
    Er schloss die Tür, kniete vor dem niedrigen Altar nieder und betete mit einer Inbrunst, wie er sie seit vielen Jahren nicht mehr gespürt hatte. Um Kraft. Und die Kunst, auf dem rechten Weg zu bleiben. Und um Vergebung.
     
    Z wei Uhr nachmittags stand Bjørn Holm in Beates Büro und sagte, sie hätten da was, das sie sich anschauen sollte. Sie stand auf und folgte ihm ins Fotolabor, wo er auf ein Bild deutete, das noch nicht ganz trocken war.
    » Das ist vom letzten Montag «, sagte Bjørn. » Aufgenommen etwa gegen halb sechs, also rund eine halbe Stunde nach dem Mord an Barbara Svendsen am Carl Berners Plass. Mit dem Rad schafft man es in der Zeit leicht bis in den Frognerpark. «
    Das Bild zeigte ein lächelndes Mädchen vor dem Springbru n nen. Neben ihr konnte man einen Teil einer Skulptur erkennen. Beate wusste, welche es war. Das fallende Mädchen im Baum. Sie hatte sich immer vor diese Skulptur gestellt, wenn sie sonntags mit Vater und Mutter zum Spazierengehen in den Frognerpark gefahren war. Vater hatte ihr erklärt, dass Gustav Vigeland damit die Furcht des jungen Mädchens vor der Welt der Erwachsenen symbolisieren wollte, und davor, Mutter zu werden. Doch heute war es nicht das fallende Mädchen, das Beates Aufmerksamkeit erregte. Es war der Rücken eines Mannes ganz am Rand des Bildes. Er stand vor einem grünen Mülleimer. In der Hand hielt er eine braune Plastiktüte. Er hatte ein eng sitzendes gelbes Trikot und schwarze Fahrradhosen

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