Das fünfte Zeichen
an, dazu auf dem Kopf einen schwarzen Helm. Er trug Sonnenbrille und einen Mundschutz.
» Der Fahrradkurier «, flüsterte Beate.
» Vielleicht «, sagte Bjørn Holm. » Aber leider maskiert. «
» Vielleicht. « Es klang wie ein Echo. Beate streckte ihre Hand aus, ohne den Blick vom Bild zu nehmen. » Vergrößerungsglas … «
Holm fand es auf dem Tisch zwischen den Chemikalien und reichte es ihr. Sie kniff ein Auge leicht zusammen, während sie das konvexe Glas leicht über das Bild führte.
Bjørn Holm beobachtete seine Chefin. Natürlich hatte er schon von Beate Lønn gehört, als sie noch im Raubdezernat arbeitete. Dass sie einen ganzen Tag im House of Pain gesessen hatte, diesem hermetisch abgeriegelten Videoraum, und Bild für Bild die Aufzeichnungen der Raubüberfälle studiert hatte, während sie Detail für Detail herausarbeitete: Körperbau, Körpersprache, die Konturen der Gesichter hinte r d en Masken. Und zu guter Letzt die Identität des Räubers. Weil sie ihn einmal auf einem anderen Video gesehen hatte. Der Aufzeichnung eines Postraubs fünfzehn Jahre zuvor. Damals war sie noch nicht einmal in der Pubertät gewesen, aber die Aufnahme war auf ihrer Festplatte gespeichert. Neben gut einer Million weiterer Gesichter –und jedem Bankraub in Norwegen seit Beginn der Videoüberw a chung. Jemand hatte behauptet, das liege an ihrem ungewöhn lich geformten Gyrus fusiforme, dem Teil des Gehirns, der für das Erkennen von Gesichtern zuständig ist, und dass diese Ei genschaft wohl angeboren sei. Deshalb sah sich Bjørn Holm das Bild erst gar nicht an. Stattdessen folgte er Beates Augen. Wie sie das Foto vor ihnen nach den winzigsten Einzelheiten absuch ten, die er selbst beim besten Willen nicht gefunden hätte, weil dafür ein besonderes Gespür notwendig war, das er nicht hatte und niemals haben würde.
Ihm fiel auf, dass es nicht das Gesicht des Mannes war, was sie durch das Vergrößerungsglas studierte.
» Das Knie «, sagte sie. » Sehen Sie das? «
Bjørn Holm kam näher. » Welches? «, fragte er.
» Das linke. Das scheint ein Pflaster zu sein. «
» Sie meinen, wir sollen nach Menschen suchen, die ein Pfla s ter am Knie haben? «
» Witzig, Holm. Ehe wir herauszufinden versuchen, wer das da auf dem Bild ist, müssen wir herausfinden, ob das überhaupt der Fahrradkurier sein kann. «
» Und wie machen wir das? «
» Wir besuchen den einzigen Mann, von dem wir wissen, dass er den Fahrradkurier aus nächster Nähe gesehen hat. Lassen Sie eine Kopie des Bildes anfertigen, während ich das Auto hole. «
E ntgeistert starrte Sven Sivertsen Harry an, der ihm gerade seine Theorie erläutert hatte. Die unmögliche Theorie.
» Davon hatte ich wirklich keine Ahnung «, flüsterte Sivertsen. » Ich habe nie ein Bild der Opfer in der Zeitung gesehen. Beim Verhör haben sie die Namen genannt, aber die sagten mir ja nichts. «
» Vorläufig ist das nur eine Theorie «, sagte Harry. » Wir wissen nicht, ob er der Fahrradkuriermörder ist. Wir brauchen konkrete Beweise. «
Sivertsen verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln: » Sie sollten mich besser erst mal überzeugen, dass Sie genug Mate rial haben, um mich freizusprechen. Damit ich einverstanden bin, dass wir uns stellen und Sie meine Beweise gegen Waaler in die Hand bekommen. «
Harry zuckte mit den Schultern. » Ich kann jederzeit meinen Chef Bjarne Møller anrufen und ihn bitten, uns einen Streife n wagen zu schicken, um uns hier unbehelligt rauszuholen. «
Sivertsen schüttelte entschieden den Kopf: » Da müssen Leute weiter oben in der Polizeihierarchie involviert sein. Nicht nur Waaler. Ich vertraue niemandem. Schaffen Sie erst die Beweise heran. «
Harry ballte die Faust und öffnete sie wieder. » Es gibt eine Alternative. Eine, die uns beiden hilft. «
» Ja? «
» An die Presse gehen und ihnen geben, was wir haben. Über den Fahrradkuriermörder. Und auch über Waaler. Dann wäre es zu spät, noch was gegen uns zu unternehmen. «
Sivertsen sah ihn zweifelnd an.
» Die Zeit läuft uns davon «, sagte Harry. » Er kommt näher. Spüren Sie das nicht? «
Sivertsen rieb sich das Handgelenk. » Okay «, sagte er. » Tun Sie das. «
Harry steckte seine Hand in die Gesäßtasche und zog eine verknickte Visitenkarte heraus. Er zögerte einen Augenblick. Vielleicht weil er ahnte, was für Konsequenzen drohten. Oder weil er nicht wusste, was geschehen würde. Er wählte die Büronummer.
Der Anruf wurde überraschend schnell
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