Das fünfte Zeichen
zu stellen. «
» Ah so, aber warum fragen Sie danach? «
Der Mann zuckte mit den Schultern. » Ich weiß nicht. Ich habe das Zeichen erst vor kurzem gesehen, erinnere mich aber nicht mehr, wo. Oder ob das wichtig war. Für welchen Dämon steht dieses Zeichen? «
» Baal-Sebub « , sagte Nikolaj und drückte drei Tasten leicht nach unten. Eine Dissonanz ertönte. » Auch bekannt als Satan. «
A m Nachmittag öffnete Olaug Sivertsen die Türen zu dem französischen Balkon, der auf die Bjørvika hinausging. Sie setzte sich auf einen Stuhl und sah auf den roten Zug hinunter, der eben an ihrem Haus vorbeiglitt. Es war ein ganz gewöhnl i ches Haus, eine Steinvilla aus dem Jahre 1891. Lediglich die Lage war besonders. Die Villa Valle –benannt nach dem Mann, der sie entworfen hatte –lag abseits, unmittelbar vor dem Osloer Hauptbahnhof, neben den Schienen, mitten auf dem eigentlichen Eisenbahnareal. Die nächsten Nachbarn waren ein paar niedrige Schuppen und Werkstatthallen der Norwegischen Staatsbahn.
Die Villa Valle war für den Bahnhofsvorsteher, seine Familie und ihre Dienerschaft erbaut und mit extra dicken Mauern versehen worden, damit der Bahnhofsvorsteher und seine Frau nicht bei jedem Zug aufwachten. Des Weiteren hatte der Stationsvorsteher den Maurer gebeten –der den Auftrag erhalten hatte, weil er für seinen speziellen Mörtel bekannt war, der die Mauern besonders haltbar machte –, die Wände extra zu verstärken. Falls ein Zug entgleiste un d i hr Haus rammte, sollte der Zugführer den Schaden haben und nicht er selbst und seine Familie. Bisher war noch nie ein Zug in das herrschaftliche Stationsvorsteherhaus gerast, das einsam für sich dalag wie ein Luftschloss über einer Wüste aus schwarzem Kies, auf dem Schienen blinkten, die sich wie glänzende Schlangen in der Sonne wanden.
Olaug schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstra h len.
Als junges Mädchen hatte sie die Sonne nicht gemocht. Ihre Haut war nur rot geworden und brannte. Sie hatte sich zurückg e sehnt nach den feuchten, lauen Sommern an der Westküste. Aber jetzt war sie alt, bald achtzig Jahre, und hatte begonnen, die Wärme der Kälte vorzuziehen. Das Licht dem Dunkel. Die Gesellschaft der Einsamkeit. Die Geräusche der Stille.
So war es nicht gewesen, als sie 1941 mit sechzehn Jahren von Averøya fortgezogen und auf eben jenen Schienen nach Oslo gekommen war, um als Dienstmädchen für den Deutschen Ernst Schwabe und dessen Gattin Randi in der Villa Valle zu arbeiten. Er war ein großer, stattlicher Mann, und sie entstammte einer Adelsfamilie, was Olaug in den ersten Tagen vollkommen eingeschüchtert hatte. Doch sie hatten sie freundlich und mit Respekt behandelt. Und nach einer Weile hatte Olaug versta n den, dass sie nichts zu befürchten hatte, solange sie ihre Arbeit mit der Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit erledigte, für die die Deutschen nicht ohne Grund bekannt waren.
Ernst Schwabe war Leiter einer Wehrmachtsabteilung und hatte sich die Villa am Bahnhof selbst ausgesucht. Seine Frau Randi war ebenfalls bei dieser Abteilung angestellt, doch Olaug sah sie nie in Uniform. Die Dienstmädchenkammer ging nach Süden auf den Garten und die Schienen hinaus. In den ersten Wochen hatte sie nachts nicht schlafen können wegen des Donnerns der Wagen, der schrillen Pfeiftöne und all der anderen Stadtgeräusche. Doch mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt. Und als sie im folgenden Jah r d ie ersten Ferien zu Hause verbrachte, hatte sie in dem Haus ihrer Kindheit der Stille und dem Nichts gelauscht und sich nach dem Lärm des Lebens und den lebendigen Menschen zurückgesehnt.
Lebendige Menschen. Davon hatte es in der Villa Valle wä h rend des Krieges viele gegeben. Das Ehepaar Schwabe hatte reichlich Sozialkontakte gepflegt, und Deutsche wie Norweger waren den Einladungen gefolgt. Wenn die Menschen wüssten, welche Stützen der norwegischen Gesellschaft hier, bewirtet von der Wehrmacht, gegessen, getrunken und geraucht hatten. Einer der ersten Befehle an Olaug nach dem Krieg hatte gelautet, die aufbewahrten Tischkarten zu verbrennen. Sie hatte getan, was man von ihr verlangte, und auch nie ein Wort darüber verloren. Zwischenzeitlich war sie natürlich manchmal in Versuchung gekommen, wenn dieselben Gesichter in den Zeitungen aufg e taucht waren und berichtet wurde, wie sehr sie unter dem Joch der deutschen Besatzung gelitten hätten. Doch Olaug hatte die Lippen zusammengepresst. Aus gutem Grund. Unmittelbar
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