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Das Gedächtnis der Libellen

Das Gedächtnis der Libellen

Titel: Das Gedächtnis der Libellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožic
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auf den habe ich gewartet, schon seit immer, dachte ich. Er aber hielt mich fest, an den Handgelenken, schob mich dann mit beiden Armen ein Stückchen von sich weg, um mich besser ansehen zu können. Auf eine Weise tat er das, als wollte er sicherstellen, dass ich ihm nicht wegrenne. Ich verliebte mich in Iljas dämonisches Augenblinzeln, und an der Art, wie er mich festhielt, merkte ich, dass er der Sohn eines Matrosen war. Als er mich losließ, kehrte ich ihm den Rücken zu, und eine Weile lag sein Kopf in meinem Nacken, ohne dass wir ein Wort sprachen. Ich spürte seine Augen, wie sie auf mir ruhten, wie sie mich auch von hinten inspizierten, meine Ohren, meine Haarwirbel, meinen Hals. Alles verleibte Ilja sich ein, und ich fühlte mich wohl bei dieser Landnahme.
    Es gefiel mir sogar, dass Ilja mich mit Händen und Augen so eifrig überprüfte. Ilja hatte etwas Dunkles und Geheimnisvolles in seinem Wesen. Ich wollte wissen, was es mit dieser Dunkelheit auf sich hatte, dachte, dass das Lachen und die Dunkelheit eine Sache bei ihm waren und mir eines Tages sein Geheimnis offenbart würde, dass er eins hatte, darin war ich mir sicher.
    Aufgestachelt von diesem Rätsel und bewegt von dem Gedanken, dass ich Ilja dabei helfen könnte, irgendein tiefes und schweres Geheimnis in sich selbst zu entdecken, nahm ich ihn noch fester als er mich in den Arm. So wie man einen Baum umarmen würde, wenn einem niemand zuschaut, der einem Verrücktheit unterstellen könnte, so küsste ich Ilja dann auch, wie man jemanden küsst, dem man das Leben gerettet hat und von dem man weiß, dass er das Gleiche für einen selbst tun würde und es tat, schon dadurch, dass er lebte und dass es ihn gab, schon dadurch tat er das Gleiche für mich.

    Ich strich ihm das Haar aus der Stirn, küsste seinen Hals, jetzt scheinbar ganz sachlich, wie eine Forscherin, die nur objektive Ergebnisse erreichen wollte, so küsste ich den Ilja-Hals, als sei es gar nicht ich, die ihn küsst. Das Kinn liebte ich besonders. Dann küsste ich Iljas Kussmund, wieder und wieder die schönen kleinen Ohren. Aber Ilja war nicht von seinem Satz abzubringen. Er wiederholte ihn, fast manisch der Wiederholung verfallen, vier, fünf Mal, immer wieder, während er in mir kam, während er sich später anzog, stolperte, seine Schuhe unter dem Bett suchte, das Hemd vom Stuhl nahm und auch noch, als wir in die Stadt gingen, Arm in Arm, als seien wir schon immer ein Liebespaar gewesen. Und als wir so miteinander in die Stadt gingen, schien es mir, wir seien ohne Geschichte, ohne Geburt, nur der Augenblick und wir darin, aufgehoben, angezogen, aber von innen her nackt, schlafwarme Gedanken, in unseren Fingerkuppen, die Verlängerung der Liebe, alles in ihnen gespeichert, die Küsse, sein Sperma, unsere vermischten Gerüche. Er zog an seiner Zigarette und küsste meine Ohren, küsste sie hastig und zärtlich in einem, und ausgerechnet daran merkte ich, schon bei diesem ersten Gehen merkte ich, dass es fatal ist, einen Menschen wie Ilja zu lieben, der selbst das Schicksal so sehr liebte, dass er es immer wieder auf die Probe stellen musste. Das war Iljas Art, das Leben zu spüren. Niemand kann ihn da herausholen, sagte Arjeta später, als die Zukunft keine mehr war. Aber von den Formeln der Seele verschlungen zu werden ist nur in Filmen schön. Passiert es einem selbst auf einem einfachen Berliner Spaziergang, dann verschwindet die Hoffnung, du verlierst das, was du leichtsinnigerweise die Zukunft nennen wolltest, und es gibt keine Pinien, keine Palmen, die dich wenigstens vor der Sonne schützen könnten. Vehement schneit es in dir, auch mitten im Sommer, so, wie es in russischen Büchern schneit, im Winter in Nowosibirsk oder in Wladiwostok, wenn das bitterkalte Leben draußen stattfindet und vor dem Fenster die Schneeflocken dahintreiben, als könnten sie sich dadurch mit der Ewigkeit verbünden, um dich, nur dich, für immer vom Leben fernzuhalten. Damit du endlich von der Zukunft ablässt. Etwas über die Hoffnung und die Sehnsucht lernst. Du sollst sie nicht mit dem Dasein verwechseln. Aber das ist es, was du dein Leben lang getan hast. Du hast geglaubt, diese Verwechslung, die du das Wesen der Liebe genannt hast, sei das richtige Leben. Du hast überlebt dadurch. Jetzt musst du mehr schaffen, als nur zu überleben. Und du musst mit dem Warten aufhören.

    Als wir das Café betraten, hatte Ilja seinen Satz so oft gesagt, dass er sich in mir in sein Gegenteil umformte. Völlig zu

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