Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Reaktion«, fügte sie hinzu. »Sollen wir nochmal mit ihm reden?« Sie griff nach dem Telefon auf dem Tisch. »Allerdings muss ich als Allererstes meine Kinder in die Stadt verfrachten. Sieht so aus, als sei ich doch noch nicht ganz auf dem Heimweg. Wenigstens ist dieses bescheuerte Abenteuer glimpflich ausgegangen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich in einen seltsamen Fall verbeiße und nicht sofort losrase, wenn ... – Aber mein feiner Exgatte, dem ist das natürlich ... – Ach, verdammt, das hätte einfach nicht passieren dürfen.« Sie wählte die Nummer ihres Sohnes.
»Hallo, Gylfi, hier ist Mama. Ist bestimmt toll in Selfoss, oder?«
25 . KAPITEL
»Geh du vor«, sagte Dóra und stieß Matthias leicht an. »Tu einfach so, als wärst du Pferdenarr. Das glauben sie bestimmt, schließlich bist du Deutscher.« Sie standen auf dem Hofplatz von Tunga, und Dóra hoffte, dort den Bauern Bergur anzutreffen. Er schien ihr am ehesten an den Morden beteiligt zu sein, bei denen Jónas nun Hauptverdächtiger wurde. Sie waren fast bei dem äußerst zweckmäßig gebauten Wohnhaus angelangt. Es sah so aus wie viele kleine, um 1970 erbaute Einfamilienhäuser, war jedoch in schlechtem Zustand. Der Anstrich des wellblechverkleideten Dachs blätterte großflächig ab; Roststreifen zogen sich an den überall durchscheinenden Stahlträgern entlang die schmutzige gelblich weiße Außenwand hinunter. »Mach schon, sei nicht so schüchtern«, säuselte Dóra.
»Kommt nicht in Frage, meine Liebe«, erwiderte Matthias und rümpfte die Nase. »Schrecklicher Gestank hier«, fügte er hinzu und sah in alle Richtungen, um die Ursache ausfindig zu machen.
»Ist das nicht einfach nur Landluft?«, meinte Dóra und atmete tief durch die Nase ein. »Es sei denn, der Wind kommt aus der Richtung des gestrandeten Wals. Komm mit«, sagte sie. »Ich übernehme das Reden. Wahrscheinlich ist es sowieso besser, ihnen nichts vorzumachen.« Sie klopfte leicht an die ramponierte Haustür. Daran war ein Holzschild mit den Namen der Bewohner in schnörkeliger Schrift befestigt:
Bergur und Rósa
. Dóra hoffte inständig, dass die Dame des Hauses nicht zur Tür kommen würde. Sie wollten zu Bergur, und Dóra war nicht bekannt, ob die Ehefrau von seinem Verhältnis mit Birna wusste. Sie wollte nicht diejenige sein, die ihr die Nachricht überbrachte, und es würde nicht viel bringen, mit Bergur zu sprechen, ohne es zu erwähnen.
Die Tür ging auf. Vor ihnen stand ein Mann zwischen dreißig und vierzig. Er war schlank, wirkte aber dennoch muskulös, mit breiten Schultern und kräftigen Unterarmen. Dóra konnte gut verstehen, dass Birna den Mann anziehend gefunden hatte. Etwas an seinen markanten Gesichtszügen und seinem dunklen lockigen Haar machte ihn sehr attraktiv. »Guten Tag«, sagte Dóra. »Bist du Bergur?«
»Ja«, antwortete der Mann und schaute die Gäste fragend an.
Dóra lächelte. »Ich heiße Dóra und bin die Anwältin von Jónas vom Hotel. Das ist Matthias aus Deutschland, der zu meiner Unterstützung hier ist, wenn man das so sagen kann.« Sie zeigte auf den höflich nickenden Matthias. »Wir würden gerne kurz mit dir reden.« Sie schaute ihm in die Augen. »Über den Mord an Birna und den neuesten Leichenfund.«
Bergur sah sie scharf an. Dóra hatte den Eindruck, dass er über den Besuch alles andere als erfreut war. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich was mit euch zu besprechen habe«, sagte er unwirsch. »Ich bin stundenlang von der Polizei verhört worden und vollkommen ausgelaugt. Könnt ihr euch nicht einfach die Zeugenaussage besorgen?«
Dóra lächelte weiter. »Ich spreche lieber mit den Leuten persönlich, als mir ihre Aussagen durchzulesen. Die Fragen, die mich interessieren, werden nicht immer gestellt.« Sie seufzte leicht. »Aber wenn du nicht mit uns reden willst, versuchen wir einfach, morgen deine Frau zu erreichen. Sie ist bestimmt nicht so ausgelaugt wie du.«
Bergur schwankte. »Sie ist mit Sicherheit genauso wenig daran interessiert, mit euch zu reden wie ich.«
»Das wird sich ja dann herausstellen, nicht wahr?«, entgegnete Dóra. »Ich rufe an und erkläre ihr unser Anliegen. Ich bin mir sicher, dass sie mich dann treffen will.« Dóra hoffte, dass das genügen würde. Sie setzte ihr coolstes Pokerface auf, damit er nicht auf die Idee kam, dass sie ihm etwas vorspielte.
Bergur warf einen Blick über die Schulter zurück ins Haus. Dann drehte er sich wieder um und schaute Dóra wütend an.
Weitere Kostenlose Bücher