Das gefrorene Licht. Island-Krimi
nachdenklich. »Außerdem ist es komisch, wie lange die beiden miteinander geredet haben, wenn man bedenkt, wie kurz die Antworten waren, die der Sohn übersetzt hat. Ich fand es auch seltsam, dass sie nicht gefragt haben, warum wir uns überhaupt für Birna interessieren.«
»Hat das nicht mit der japanischen Höflichkeit zu tun? Vielleicht ist Neugier dort ein Verbrechen.« Dóra war hungrig und schaute auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. »Komm, lass uns was essen, bevor das Frühstücksbüfett abgeräumt wird.«
Matthias blickte erst irritiert zu Dóra und dann auf seine Armbanduhr. »Der Speisesaal wird doch nicht schon um acht Uhr geschlossen, oder?«
»Na komm schon«, entgegnete Dóra und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, »ich sterbe, wenn ich nicht sofort einen Kaffee bekomme. Außerdem sind bestimmt ein paar andere Gäste da, mit denen wir uns unterhalten können.« Sie waren in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, um so viele Hotelgäste wie möglich abzufangen, bevor die sich zu ihren Tagesaktivitäten begaben.
»Ich möchte nicht für deinen Tod verantwortlich sein«, sagte Matthias und folgte ihr. »Auch wenn du mir die Sache mit dem Weinen nicht glaubst.«
»Uuhuuhuu«, jaulte Dóra mit gespielt tiefer Stimme. »Ausgesetzte Kinder – uhuu.« Sie lachte schallend über Matthias’ säuerliches Gesicht. »Stell dich doch nicht so an! Ein Kaffee wird uns aufmuntern.«
Im Speisesaal waren nur drei Tische besetzt. An einem saß ein älteres Paar, das Dóra noch nicht gesehen hatte, am zweiten Magnús Baldvinsson, der alternde Politiker, und am dritten ein tief in Gedanken versunkener junger Mann. Er war braungebrannt und schien kräftig zu sein, obwohl die jugendliche Kleidung seine Figur kaschierte. Dóra beschloss sofort, sich auf den jungen Mann zu konzentrieren. Sie stieß Matthias mit dem Ellbogen an und sagte leise und unauffällig: »Das ist bestimmt der Kajakfahrer, þröstur Laufeyjarson, den Jónas mit Birnas Tod in Verbindung gebracht hat. Siehst du, wie schlecht gelaunt er ist? Komm, wir setzen uns an den Nebentisch.« Sie gingen zum Büfett, und Dóra belud aufs Geratewohl ihren Teller. Matthias ließ sich Zeit, während er das Angebot begutachtete, indem er am Büfett entlangschlenderte. Wieder stieß sie ihn mit dem Ellbogen an. »Beeil dich. Er darf nicht gehen, bevor wir uns gesetzt haben.« Matthias schaute sie enttäuscht an, griff dann wahllos nach einem Joghurt und ging mit ihr zu dem Tisch neben dem Kajakfahrer. Dóra lächelte dem Mann zu, als sie sich setzte. »Guten Morgen, tolles Wetter heute!«
Der Mann schaute nicht auf und schien sich nicht angesprochen zu fühlen. Er gähnte und trank einen Schluck Orangensaft. Dóra versuchte es noch einmal. »Entschuldigung«, sagte sie laut, damit kein Zweifel daran aufkam, dass ihr Tischnachbar gemeint war, »weißt du, ob es hier einen Bootsverleih gibt? Wir möchten eventuell ein Boot mieten. Oder ein Kajak.«
Der Mann schluckte, schaute Dóra verwirrt an und antwortete auf Englisch: »Äh, meinen Sie mich? Ich spreche leider kein Isländisch.«
»Oh.« Dóra war leicht irritiert. Offensichtlich handelte es sich nicht um þröstur Laufeyjarson. Sie lächelte entschuldigend. »Verzeihung, ich habe Sie mit jemandem verwechselt.« Sie versuchte, ein anderes Thema anzuschneiden, damit ihr der Mann nicht durch die Lappen ging. »Sind Sie neu angekommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin schon länger hier. Allerdings mit Unterbrechungen, bin herumgereist.«
Dóra versuchte, Interesse für seine Reisen vorzutäuschen und gleichzeitig natürlich zu wirken. »Wo waren Sie denn? Hier gibt es ja so viel zu sehen!«
Der junge Mann schien nicht unglücklich über die Gesellschaft zu sein. Er drehte sich ein wenig auf seinem Stuhl, sodass er Dóra und Matthias besser sehen konnte. »Überwiegend in den Westfjorden. Ich arbeite für ein Reisemagazin. Es geht um sehenswerte Reiseziele und so.«
»Bestimmt ein interessanter Job – oder auch nicht«, sagte Dóra und trank den ersten Schluck Kaffee. Sie erinnerte sich nicht an den Namen des Mannes, aber es musste der Fotograf sein, den Jónas auf der Gästeliste gekannt hatte.
Der junge Mann lachte. »Ja, es kann ziemlich anstrengend sein. Ich bin Fotograf, und meine Tage sind manchmal sehr lang und hart.«
Dóra reichte ihm die Hand. »Wie unhöflich von mir. Ich heiße Dóra.« Sie nickte in Richtung Matthias. »Und das ist Matthias aus Deutschland.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher