Das gefrorene Licht. Island-Krimi
und Baldvin war jung, rank und schlank.
»Er hat nach dir gefragt. Wann du nach Hause kommen würdest«, antwortete Fríða. »Ich glaube, er will zu dir fahren.«
»Nein!«, rief Magnús erzürnt, »er darf unter keinen Umständen herkommen! Das würde alles nur noch schlimmer machen. Er hätte neulich lieber zu Hause bleiben und nicht versuchen sollen, mir zu helfen.«
»Er meint es doch nur gut«, entgegnete seine Frau. »Vielleicht tut es auch gar nichts zur Sache. Wenn diese Birna mit jemandem gesprochen hätte, würdest du es jetzt bestimmt wissen. Vielleicht ist mit ihr alles gestorben.« Die Frau seufzte. »Sollen wir das nicht einfach hoffen und es gut sein lassen?«
Magnús seufzte. »Wir können nicht sicher sein, Fríða. Ich habe schon zu viel aufs Spiel gesetzt und kann jetzt so kurz vorm Ziel nicht einfach aufhören. Geschweige denn Baldvin. Ich bleibe hier und warte ab. In den nächsten Tagen wird sich alles klären. Ganz bestimmt.«
»Soll ich kommen? Nimmst du deine Medikamente?« Fríða war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.
»Komm nicht! Auf keinen Fall! Und halt um Himmels willen Baldvin davon ab, noch einmal herzukommen.« Magnús holte tief Luft. »Fríða, die Verbindung ist sehr schlecht; du kannst mich hier auf dem Handy nicht anrufen. Aber übers Hoteltelefon auch nicht. Man weiß nie, wer in der Leitung ist. Ich melde mich regelmäßig bei dir.«
Magnús beendete das Telefonat. Er betrachtete den malerischen Küstenstreifen, drehte sich dann um und sah zu den Bergen im Norden. Er wartete darauf, von Glück und Frieden erfüllt zu werden, aber nichts geschah. Plötzlich überkam ihn eine abgrundtiefe Wut. Mit ihren Intrigen und ihrer Boshaftigkeit hatte Birna alles zerstört, was ihm lieb war. Die Heimat. Nun weckte sie nur noch Furcht in seiner Brust. Er war zu alt, um mit dieser Angst umgehen zu können; sein Selbstbewusstsein war wie weggewischt. Es würde schlecht ausgehen. Für ihn und für Baldvin. Seine Wut verflog ein wenig, und stattdessen überfiel ihn Traurigkeit. Vielleicht war Birna die Wurzel allen Übels gewesen, und der Mord an ihr der Anfang vom Ende. Aber im Grunde war er selbst schuld.
Magnús hatte einmal gelesen, dass die Schatten alter Sünden ewig währen und man sich nicht vor ihnen verstecken kann. Daran hätte er denken sollen, damals.
13 . KAPITEL
Vigdís saß an der Rezeption und beobachtete, wie Dóra und Matthias zu Jónas’ Büro gingen. Sie dachte kurz daran, ihnen mitzuteilen, dass Jónas nicht da war, drehte sich dann aber wieder zum Bildschirm und las weiter Nachrichten im Internet. Die Meldungen hatten allerdings wenig mit den üblichen Nachrichten gemein, denn Vigdís interessierte sich schon lange nicht mehr für die Nahostproblematik, Politik, Inflationsentwicklung und all die anderen Themen, auf denen die Journalisten herumritten. Die Nachrichten, die Vigdís las, waren eindeutig und hatten einen Anfang und ein Ende. Es gab immer einen Bösen und einen Guten, und es waren immer Fotos dabei, die man sich gerne anschaute. Gespannt wanderte ihr Blick über den Bildschirm. Inzwischen war ihr vollkommen klar, dass sowohl Nicole Ritchie als auch Keira Knightley an Magersucht litten. Sie inspizierte ein vergrößertes Foto der Letztgenannten, auf dem man ihre Rippen durch ein langes geschlitztes Kleid sehen konnte. Vigdís schüttelte traurig den Kopf.
»Entschuldigung.« Das Wort drang zu ihr und verdrängte einen Moment lang ihre Sorge um die junge Schauspielerin. Vigdís schaute auf. »Weißt du, wo Jónas ist?«, fragte Dóra.
Vigdís schloss das Fenster auf dem Bildschirm, sodass nur noch der Stand der Buchungen zu sehen war. »Jónas ist in die Stadt gefahren. Er kommt erst heute Nachmittag zurück.« Sie setzte ihr formelles Gesicht auf. »Kann ich euch behilflich sein?«
Dóra blickte erst zu Matthias, dann wieder zu Vigdís. »Wir haben gerade überlegt, wer wohl im Haus ist. Wir würden gerne alle treffen, die Birna möglicherweise gekannt haben. Den Kajakfahrer zum Beispiel.«
»þröstur Laufeyjarson?«
»Ja, genau«, antwortete Dóra. »Ist er im Haus?«
»Nein, der geht immer in aller Herrgottsfrühe raus zum Training. Gestern Abend hab ich sein Kajak noch gesehen. Vielleicht trainiert er gerade unten in der Hotelbucht. Wenn das Kajak nicht an dem kleinen Steg liegt, dann ist er auf dem Wasser.«
Dóra übersetzte für Matthias, und sie beschlossen, hinunter zum Meer zu gehen, in der Hoffnung, þröstur dort anzutreffen.
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