Das Gegenteil von Schokolade - Roman
mich mit munteren Augen auffordernd an. »Was denn?«
»Dass die einen meinen, ich sei lesbisch, weil ich auf einen Schwof gehe, und die anderen glauben, ich bin hetero, weil ich mit Lothar zusammen war. Das geht mir auf den Wecker! Aber gewaltig!«
Das Aufblitzen in ihrem Gesicht. So ein kleiner Schreck. Nur ganz kurz. Schon wieder fort, ehe ich genau sagen könnte, wieso und warum.
»Es macht keinen Unterschied, weißt du. Es macht keinen Unterschied, ob ich eine Frau oder einen Mann geliebt habe. Für mich zählt nur eins: Ich habe geliebt und konnte das Gefühl nicht festhalten. Ist die Frage nach diesem ›Warum‹ nicht wichtiger, nicht ausschlaggebender als die Frage nach der sexuellen Orientierung?«
Antonie schweigt.
Für einen Moment.
Für zwei, drei Augenblicke. Die sie mir schenkt. Blicke ihrer Augen. Nachdenklich. Neugierig.
Ich kenne ihre Antwort, bevor sie sagt: »Stimmt. Sexuelle Orientierung. Wie das schon klingt!«, und dann lacht sie, verstellt ihre Stimme und näselt: »Hach, ich fühle mich sexuell momentan so desorientiert!«
Ich lache auch. Weil sie komisch ist. Weil ich erleichtert bin. Aber dann fällt mir einfach nichts Leichtes und Lockeres ein, das ich ihr noch sagen könnte.
Immer wenn Antonie und ich uns begegnen, habe ich den Eindruck, dass jedes Treffen einen weiteren Beitrag leistet dazu, dass etwas entschieden wird. Nicht für mein Leben, aber zwischen ihr und mir. Es ist, als würden wir auf etwas Bestimmtes hinsteuern. Die Tatsache, dass mir selten etwas Unverfängliches, Witziges, Unbedeutendes einfällt, ist ein Indiz dafür. Dass wir so häufig schweigen, obwohl wir beide echte Plappermäuler sein können, ein weiteres. Dass wir uns ansehen wie zwei, die Geheimnisse verbergen können, aber es vielleicht nicht länger wollen, das größte.
»Ich hatte nie was mit Männern«, erklärt Antonie plötzlich, als befänden wir uns mitten in einer angeregten Diskussion. »Ich kenn nur die Fallen, die lauern, wenn man mit einer Frau zusammen ist. Aber vielleicht hast du ja Recht, und es gibt gar keinen Unterschied. Dann müsstest du es auch kennen, dieses schwarze Loch, diese Grube, die man Symbiose nennen kann. Nur noch alles gemeinsam machen und fühlen. Deswegen nicht mehr konfliktfähig sein. Das Wir stärker als das Ich empfinden. Theoretisch zumindest weiß ich, wo die Gefahren lauern in einer Beziehung.«
»Und was nützt dir das?«, traue ich mich keck zu fragen. Zu wissen, wo die Gefahren liegen, muss doch zumindest die Möglichkeit beinhalten, ihnen auszuweichen.
Antonie setzt sich zurecht und in Szene. Das kann sie. Auf mich zumindest hat es eine ziemlich fesselnde Wirkung, als sie dann sagt: »Ganz einfach: Es gibt ’n paar schlichte Regeln! Erstens: Eine Beziehung läuft bei mir nur, wenn es hundert Prozent sind! Drunter mach ich es nicht! Mit so was wie ›Babe, ich weiß nicht genau, wie es morgen so mit uns aussehen wird‹ braucht mir also keine zu kommen. Ich will klare Perspektiven. Zweitens: Die Klebenummer funktioniert bei mir nicht ! Deswegen ist es notwendig, dass jede ihr eigenes Leben weiterlebt. ›Zwei autonome Frauen, die intensive Berührungspunkte haben.‹ So lautet die ideale Definition. Drittens resultiert aus zweitens. Heißt: Wenn irgendwas danach aussieht, als würde die große Symbiosefalle zuschnappen, nehme ich die Beine in die Hand! Drei einfache Regeln. Gar nicht so kompliziert, hm?«
Ich bin platt. Sie hat mich mal wieder völlig überrumpelt. Fährt einen Lebens-, nein, einen Liebesplan auf, der festgeschrieben ist wie ein Gesetz.
Diese impulsive, wild bewegte Frau hat also eine Beamtinnenseele.
»Das sind hehre Prinzipien«, kommentiere ich schließlich ihr Plädoyer. »Man könnte sie eigentlich eher Ideale nennen. Ziemlich hoch oben angesiedelt. Viel höher als die, die ich selbst besitze … Falls ich überhaupt welche besitze, denke ich gerade. Ich stell es mir schwierig vor, die einzuhalten.«
Antonie zuckt die Achseln. »Im Leben funktioniert nichts, ohne dass man sich vorher dazu eine Meinung gemacht hat. In meinem jedenfalls nicht. Ich hasse es, wenn mich eine Situation unvorbereitet trifft und ich dann Hals über Kopf etwas entscheiden muss, was vielleicht einen wichtigen Einfluss auf mein Leben nehmen könnte.«
»Du willst alles kalkulieren?«
»Wenn es eben möglich ist.«
»Du bist also für jede Entscheidungssituation gewappnet?«
»Ich versuchs.«
»Wie wäre es mit einem Mann?«
»Wie?«
»Wenn ein Mann
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