Das Gegenteil von Schokolade - Roman
einfach so. Es klingt interessiert, und deswegen riskiere ich eine ehrliche Antwort: »Ich hab ihn vermisst. Ich vermisse ihn oft. Wenn man ein paar Jahre so eng miteinander verbracht hat, ist es merkwürdig, den anderen plötzlich nicht mehr jeden Tag zu sehen, nicht?«
»Ja? Ich weiß nicht. Ich hab das noch nie so erlebt. Aber das klingt so, als hättet ihr die Trennung gut hinbekommen. Ich meine, meistens geht es doch eher im Streit auseinander. Oder zumindest so, dass man sich hinterher nicht mehr unbedingt über den Weg laufen möchte.«
Das tut gut. Dass sie das sagt, tut gut.
Immer denke ich, ich habe so viel falsch gemacht. Und diese Vorwürfe, diese Zweifel, warum konnte ich nicht bleiben. Warum konnten wir nicht beieinander bleiben. Da tut es einfach gut, wenn eine sagt: ›Das habt ihr aber gut gemacht!‹ und damit unsere Trennung meint, genau das, was ich immer als Versagen betrachte.
Dabei lassen wir es.
Antonie geht ohne großes Getue über zu ganz anderen Themen. Der Kinofilm, den sie gestern gesehen hat und der interessanter gewesen zu sein scheint als der, den wir uns ausgesucht hatten. Ein wertvoller Perserkater, der bei der Routine-Untersuchung in der Praxis total ausgetickt ist. Er ist über Tisch und Bänke gesprungen, hat Dr. Greve in die Hand gebissen, seinem Frauchen die Nase zerkratzt und bei seinem Tarzantanz auch noch seine Analdrüsen ausgedrückt.
»Bestialisch!«, kommentiert Antonie diese Duftmarkierung und verzieht das Gesicht, als müsse sie sich gleich übergeben.
»Wahrscheinlich hatte er Angst«, versuche ich die grobe Unhöflichkeit des Zuchtkaters zu entschuldigen.
Antonie grinst. »Ist das ein Grund? Angst haben wir doch wohl alle vor irgendwas. Aber trotzdem benehmen wir uns, wenn wir bei fremden Leuten sind.«
Ihr Blick auf die Dinge ist wirklich ein unverstellter.
»Was hast du denn jetzt noch so Spannendes vor?«, will sie dann interessiert wissen und schaut relaxt auf die Uhr.
Wir sind gar nicht gehetzt bisher. Offenbar hat sie einen ruhigen Abend.
»Offen gesagt, habe ich gar nichts Spannendes vor. Ich wollte jetzt nach Hause gehen und mir einen Tee machen. Das ist alles.«
»Das klingt doch nett.«
»Ja?« Ich schaue sie für einen Moment von der Seite an, und schon habe ich es gesagt: »Komm doch mit, wenn du Lust hast!?«
Und sie sieht nur für einen winzigen Augenblick verblüfft aus, dann lächelt sie breit. »Gerne!«
Wie wir so weitergehen, steht also fest, dass Antonie und ich wahrscheinlich den Abend miteinander verbringen werden. Und das puscht mein Adrenalin ziemlich.
Ich plappere und quatsche und erzähle, dass ich mich selbst kaum wiedererkenne, bis wir auf meinem großen Sofa sitzen und ich uns aus der Kanne Roibosh-Tee eingieße.
Das ist der Moment, wo ich wieder stiller werde und begreife, dass sie hier ist. Eine Erscheinung vom Morgenberg, aus der Tierarztpraxis, vom Schwof, plötzlich hier in meiner Wohnung, in meinem Leben. Die Einsicht, dass es sich hier um die Realität handelt und nicht um eine meiner in letzter Zeit etwas wirren Fantastereien, macht mich für ein paar Minuten stumm.
Antonie sieht sich um.
Sie betrachtet das Bücherregal mit den fünfhundert Krimis und vielen anderen Büchern, die mich begleitet haben. Sie schaut sich den Kerzenleuchter mit den neun Armen an. Die Porzellanelfe, versteckt in der Grünpflanze auf der Fensterbank. Sehnsuchtskalender Provence. Und lange hängt ihr Blick an meiner Computerecke. Den Fotos, den siebenundneunzig mir ans Herz gewachsenen Kleinigkeiten, die sich oben auf dem Bildschirm und dem Wandregal daneben tummeln.
Sie kann nicht wissen, was meine Computerecke mir sonst noch bedeutet. Welche Mails womöglich in meinem Rechner auf mich warten. Das kann sie nicht mal ahnen. Trotzdem beunruhigt es mich, dass ihr Blick sich so lange dort aufhält.
»Das Bild da vorne, der mit der roten Jacke, das ist Lothar«, erkläre ich.
Gar nicht so schwer. Wenn es einmal ausgesprochen ist, dass es Lothar gibt, dann ist es gar nicht schwierig, ihn hin und wieder mal zu erwähnen.
Antonie steht auf und geht hin. Nimmt das Foto in die Hand, nachdem sie mir einen kurzen Blick zugeworfen hat und ich genickt habe. »Warum habt ihr euch denn eigentlich getrennt?«, möchte sie wissen, während sie das Bild genau betrachtet.
Sie kommt zum Sofa zurück und setzt sich neben mich. Näher als vorher. Bestimmt ein ganzes Stück näher.
»Na ja, da gab es diesen einen Abend. Eigentlich ein Abend wie jeder
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