Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Akzeptieren einer Mitteilungsverweigerung beherrscht sie wirklich.
Ich nehme die Bögen entgegen, schlage Seite drei und vier auf und sage: »Ich weiß nicht mal, ob sie sich daran erinnern kann. Vielleicht hat sie einfach fest geschlafen. Oder sie hat mich beim Dösen mit einer anderen Frau verwechselt …«, und erzähle ihr den ganzen gestrigen Abend.
Als ich ihr von Antonies Äußerungen zum Thema ›ehemalig heterosexuell lebende Frau‹ berichte, seufzt Michelin einmal tief auf.
»Lass dich doch nicht schocken von so was! Du musst doch nichts entscheiden. Kannst es nicht entschei den. Niemand wird plötzlich lesbisch. Da muss vorher schon mal was da gewesen sein. Aber das bedeutet doch nicht, dass du so weitermachen wirst. Alles ist offen für dich!«
Ich lache einmal kurz auf.
»Du brauchst dich nicht zu bemühen, mich zu beruhigen. Ich selbst sage es mir ja auch immer wieder: dass ich mich nicht festlegen muss. Der Witz dabei ist nämlich: Ich wäre heilfroh, wenn ich mich festlegen könnte! Verstehst du? Ich bin kein Gruppentyp, aber es wäre doch schön, irgendwo dazuzugehören.«
Michelin überlegt einen Augenblick. Dann nickt sie. Wissend.
»Früher hab ich mir das auch so vorgestellt. Dass die Lipstick-Lesbe mit der Fußball-Fanatischen und der Mantalette Arm in Arm gehen kann. Weil wir doch alle gleich sind. Aber weißt du was? So ist es nicht! So sieht die Wirklichkeit nicht aus. Kleider machen Lesben. Und Politik macht Lesben. Und sogar Städte machen sie. Wir sind nicht alle gleich. Und wir verhalten uns auch nicht so. Keine geht mit einer anderen Arm in Arm, nur weil wir zufällig alle auf Frauen stehen. Schmink dir das ab, Frauke. Vielleicht kannst du es dann besser verkraften, dass du nicht sicher weißt, wo du nun genau stehst.«
Ich sehe sie für einen Moment ratlos an, dann raffe ich ihre Unterlagen zusammen.
»Wahrscheinlich hast du Recht«, murmele ich und beginne zu lesen.
»Aber …«, sagt Michelin lang gezogen und bricht dann ab, wartet, bis ich wieder aufsehe, zu ihr hin. »Aber war es denn schön?«
Mein Herz klopft ein paar Takte lang ein bisschen schneller. Warm war es. Duftig. Überraschend zart.
»Ja«, antworte ich, und wir lächeln uns kurz zu. Eine Welle von Zuneigung schwappt über mich hinweg. Weil ich eine Freundin hab, die sich über dieses Ja freut.
7 . Das Gegenteil von Schokolade ist Vanille
Sie stellten sich vor, sie seien blind. Wie in jener Dunkelheit der ersten Nächte, in denen sie einander noch nicht gekannt, nur leise erahnt hatten. Nichts zu wissen, nur zu tasten nach dem Wesentlichen. Verwunderung und Erschrecken lagen Seite an Seite. Nicht das Finden ist die Kunst.
(Seite 184 des Romans »Von der Umkehr der Endgültigkeit«, Patricia Stracciatella)
A m Nachmittag verlasse ich früher das Büro und streune mit Loulou durch den Wald.
Wie eine Schlafwandlerin bin ich. Stolpere über Wurzeln, erschrecke vor einem plötzlich wie aus dem Nichts auftauchenden Wanderer, liege in Gedanken in meinem Bett und spüre einen warmen Körper an meinem.
So kann es nicht weitergehen. Mein Gefühlsleben hat mich voll im Griff.
Irgendwo muss ich anfangen , Klarheit zu erlangen. Diese Gewissheit setzt sich fest und füllt mich mehr und mehr aus, bis in den letzten Winkel. Sie ist da, als ich abends meinen Rechner hochfahre und mich dann anmelde.
Ihr Name springt mich an wie etwas Altvertrautes. Unmöglich, dass ich sie vor ein paar Wochen noch nicht kannte. Unmöglich auch, dass ich sie gar nicht kenne.
Sie erzählt mir von ihrem Tag. Sie arbeitet an der Uni, weiß ich inzwischen. Vielleicht wird sie Doktorin und irgendwann Professorin. Vielleicht lehrt sie andere Gedichte zu lesen und im Alltag Poesie zu finden. Vielleicht bin ich für sie eine besondere Schülerin. Ihre Rätsel, die mich so fasziniert haben, drücken mir mehr und mehr auf die Seele. Und die letzte Nacht hat so vieles verändert. Womöglich alles.
loulouzauber: emma, lass uns ehrlich sein
silbermondauge: ehrlich?
loulouzauber: miteinander. du glaubst nicht, wie durchgedreht ich bin
silbermondauge: nicht nur du …
loulouzauber: weißt du, was hier los ist? was passiert hier?
silbermondauge: ich glaube, was mit uns geschieht, das hat zwar einen namen, aber ich scheue mich, ihn auszusprechen. es ist so unwirklich, von so etwas zu sprechen, wenn man sich noch nie begegnet ist
loulouzauber: wovon sprechen wir denn?
Von Zittern kann bei mir keine Rede mehr sein. Ich vibriere.
silbermondauge: von
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