Das Gegenteil von Schokolade - Roman
ich. »Bin sofort da.«
»Schon in Ordnung«, erwidert Antonie. »Ich geh mal kurz runter mit ihr. Ich nehm deinen Schlüssel mit, ja?«
Ich starre auf die Badtür.
»Ja?«, vergewissert sie sich noch einmal.
»Ja, danke«, antworte ich mit einer kleinen weiteren Verzögerung. Dann höre ich die Wohnungstür, die sanft ins Schloss gezogen wird.
Mit meinem Hund ist bestimmt nie einer runtergegangen. Bestimmt nie.
Ich ziehe mich in rasender Eile an und werfe in der Küche ein paar Frühstückssachen auf den Tisch.
Es dauert nur ein paar Minuten, da geht der Schlüssel im Schloss und Loulou kommt noch vor Antonie hereingeschossen. Vielleicht war ihr diese ungewöhnliche Begleitung am frühen Morgen auch unheimlich.
Antonie trägt immer noch den Turban auf dem Kopf, und ich muss lächeln bei der Vorstellung, meine liebe Vermieterin Frau Silber guckt aus ihrem Wohnzimmerfenster und erblickt meine Loulou mit einer indischen Prinzessin im Schlepptau.
Antonie zieht, im Durchgang zur Küche stehend, einen kleinen Schmollmund.
»Das Frühstück wollte ich doch machen …«
Auf dem Tisch sortiere ich gerade Käse und Marmelade und schiebe die Tassen auf die Platzdeckchen. Plötzlich bin ich froh, dass ich von Lothar das Frühstücksritual gelernt habe. Deswegen steht immer eine Kerze auf dem Tisch und liegen Platzdeckchen und Servietten bereit. Ich habe eigentlich alles da, was man zu einem kleinen Frühstück braucht – nur dass ich es nicht nutze, wenn ich allein bin.
»Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß das macht«, stelle ich mit einem Blick auf den nett arrangierten Tisch fest und gieße uns etwas O-Saft in die Gläser.
Antonie lächelt. Einmal nicht heiter und fröhlich, sondern unergründlich. Wie bei unserem ersten Treffen oben am Berg. Ein Rätsel.
Für eine Sekunde überlege ich, ob ich sie einfach fragen soll. Sie einfach fragen, ob sie sich eigentlich nicht daran erinnern kann, dass sie sich heute Nacht an mich rangekuschelt hat und ihr Atem meinen Hals gestreichelt hat, als seien wir ein Liebespaar. Natürlich ohne den letzten Zusatz auszusprechen.
Aber wie so häufig zögere ich etwas zu lange. Und schon traue ich mich nicht mehr und wende mich stattdessen verlegen der Kaffeemaschine zu.
Als ich das Pulver einfüllen will, steht Antonie plötzlich hinter mir. Sie steht so dicht hinter mir, dass ich mich nicht zu rühren wage. Ich balanciere das braune Pulver auf dem Löffel und wage es nicht, mich zu bewegen. Denn alles würde auf dem Fußboden landen.
»Warum tust du es nicht in die Filtertüte?«, fragt sie schlicht. Mit diesen Worten, gemeinsam mit ihrer hellen Stimme so nah, den leichten Hauch von Atem an meinem Ohr, legt sie ihr Kinn auf meine Schulter und schaut rüber.
Eine Geste der Vertrautheit, des Kennens.
In mir zieht sich alles zusammen.
Ein Pony, das mir seinen Kopf auf die Schulter legt.
Loulou, die von manch einem langen Spaziergang zu müde ist, um richtig zu schmusen. Ich bin da, sagt es ganz einfach. Hier. Bei dir.
Ich fülle zu viel Kaffee ein und höre erst auf, als sie den Kopf zurückzieht und sagt: »Ich geh noch schnell meine Haare föhnen.«
Ihre Schritte aus dem Raum.
Da erst wende ich den Kopf. An meiner Schulter hängt nur als eine Ahnung ihr Duft.
Ich bin sicher, sie kann sich erinnern.
»Und?« Michelin sieht mich an, als hätte ich den Bundespressepreis überreicht bekommen und wolle nun nicht davon erzählen.
»Was? Und?« Dumm stellen kann ich mich ganz wunderbar. Aber leider funktioniert es nicht bei allen.
»Frauke!«, knurrt Michelin nämlich nun. Gar nicht mehr.
»Nichts«, maule ich sie an. »Es ist nichts passiert.«
Mit dem Schwindeln ist das auch so eine Sache. Wenn man seit Jahren fünf Tage die Woche aufeinander hockt und sich in allen Lebenslagen kennen gelernt hat, ist man einfach unglaublich leicht zu durchschauen.
Michelin sieht mich mit diesem gewissen Blick an. Eigentlich sollte man meinen, diesen Blick gibt es nur, wenn jemand eine Lesebrille trägt und einen darüber hinweg kritisch mustert. Bei Michelin funktioniert das Ganze auch ohne Lesebrille.
»Wenn du es lieber für dich behalten möchtest, dann kannst du das natürlich tun«, stellt sie mir frei, setzt sich auf ihren Schreibtischstuhl und beugt sich über ihre Unterlagen. »Hier ist das Konzept. Sieh dir mal Seite drei und vier bitte genauer an. Ich hab ja gestern Abend schon gesagt, dass ich glaube, dass da ein Schnitzer drin ist.«
Dieses zur Schau getragene
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