Das Gegenteil von Schokolade - Roman
in meinem Leben, die mich so durcheinander bringen. Aber jetzt plötzlich kann ich an nichts anderes denken als daran, dass Katja gesagt hat: »Das kann nicht dein Ernst sein! Du wirst doch jetzt nicht von einem Tag auf den anderen lesbisch!«
Dieser Satz schwirrt als Echo in meinem Kopf herum, und ich kriege keinen Papp heraus.
»Na ja, ich hab viel Stress«, piepse ich schließlich, weil Lothar mich weiterhin unverwandt anschaut. »Der neue Auftrag macht mir ziemlich zu schaffen. Mein Konzept ist schon das zweite Mal zurückgekommen, und langsam weiß ich mir keinen Rat mehr, weil ich schon alles ausprobiert habe. Und dann ist da ja auch noch so einiges andere …«
»Was denn zum Beispiel?«, hakt er nach. Er sieht angespannt aus. Als erwarte er eine schlechte Nachricht.
Ich mache eine vage Geste und komme mir feige vor. Das ist doch nicht dein Ernst!
Lothar tippt unruhig mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. »Wenn ich mal was sagen darf? Also, ich habe den Eindruck, du bist ziemlich durch den Wind. Ich hab so eine Ahnung, was es sein könnte, aber irgendwie trau ich mich nicht recht, es anzusprechen. Weißt du, was ich meine? Auf alle Fälle fühle ich doch, dass mit dir was verdammt noch mal nicht stimmt …«
Ich hebe den Blick und sehe ihn an. Er ist ein durchschnittlich gut aussehender Mann mit großen braunen Augen, durch die seine weiche Seele hindurchschimmert. Sein Anblick ist mir vertrauter als mein Spiegelbild, und in dieser einen Sekunde will ich mich verfluchen, dass ich vor Monaten das Ende unserer Beziehung eingeläutet habe. Vielleicht hätten wir sie doch noch retten können. Vielleicht wären wir jetzt immer noch zusammen und außerdem glücklich. Er würde mich im Arm halten und mich trösten. Nein, noch besser: Alles, was mich derzeit verwirrt und so durcheinander bringt, dass ich mich selbst nicht mehr zu kennen glaube, all das würde es ja gar nicht geben. Es gäbe keine Frau und schon gar keine zwei in meinem Leben, die mich nachts um den Schlaf und nun offenbar tagsüber um den Verstand bringen. Ich will nichts sehnlicher, als die Zeit zurückdrehen und es anders machen.
»Ach, Lothar«, beginne ich und will schon wieder irgendetwas Dummes sagen. Irgendeine Floskel, die ihm zeigen soll, dass ich noch die Alte bin und er sich nicht zu sorgen braucht. Doch als ich seinen Namen ausspreche, öffnet sich in mir wieder diese gefürchtete Schleuse, und ich heule los.
Ich weine und weine, denke plötzlich, wie blöde ich doch bin, muss unvermittelt lachen, sehe auf, schaue ihn an, sein besorgtes kummervolles Gesicht, muss wieder heulen, vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und schäme mich so ziemlich in Grund und Boden.
Lothar steht auf, kommt zu mir herum, fasst mich an der Schulter und führt mich vom Tisch weg hinüber ins Wohnzimmer, wo er mich aufs Sofa bugsiert.
Dort sitzen wir eine Weile.
Er reicht mir ein Tempo nach dem anderen, ich schniefe sie alle voll und stammele immer mal wieder, wie peinlich mir das ist.
Aber er will davon nichts wissen, hält mich im Arm und schaukelt uns beide hin und her wie in einer Wiege. So werde ich langsam ruhiger. Und am Ende kommen nur noch ein paar vereinzelte Schluchzer heraus.
»Ist es wegen Sandra?«, fragt Lothar da plötzlich mit bebender Stimme.
»Sandra?«, wiederhole ich schniefend und ahnungslos.
»Hat dir irgendjemand erzählt …? Also, weißt du, ich hab Michelin gefragt, ob ich es dir sagen soll, und sie hat da so was angedeutet, dass es dir momentan nicht so gut geht, und da dachte ich, ich warte lieber noch etwas ab. Aber jetzt hast du es wohl von jemand anderem erfahren. Wir sind jetzt wirklich fest zusammen. Seit drei Wochen.«
Ich starre ihn aus tränenverschleierten Augen ungläubig an.
Seine Frühlingstigerstimme im Oktober und November.
Sandra.
Deswegen sieht er so sorgenvoll aus. Er denkt, ich sei wegen ihm so traurig.
Ich nehme seine Hand, die ganz klamm ist.
»Davon wusste ich nichts«, erkläre ich ihm. »Ich hatte vielleicht eine kleine Ahnung, dass es da jemand geben könnte. Aber ich wusste wirklich nichts. Erzähl doch mal. Wer ist sie denn?«
Über Lothars Gesicht huscht eine Sturmwelle der Erleichterung. Er erwidert mein Lächeln und drückt meine Hand.
»Sie ist … halt dich fest! … Abwassertechnikerin. Und ständig auf Rollschuhen unterwegs. Aber nicht diese blöden Inlineskates, sondern die guten alten stilvollen Disco-Roller. Ich glaub, ich komm auch langsam auf den Geschmack. Wenigstens
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