Das geheime Leben des László Graf Dracula
gönnerhafter Höflichkeit.
»Leider nein.«
»Wie gelang Ihnen das?« Er betrachtete mich eingehend, während ich das Gefühl hatte, daß er meinen Fall längst gründlich recherchiert hatte und die Antworten auf seine Fragen bereits kannte.
»Ich war Arzt in Reserve«, erwiderte ich vorsichtig. »Ich schätze, das bin ich noch immer.«
»Ein Doktor... Ja, ich glaube, das habe ich gewußt. Nun, wenigstens ist Ihnen der Anblick von Blut nicht fremd. Aber wenn ich mich recht erinnere, waren Sie nicht mit Georg in der Schlacht gegen die Preußen dabei, nicht wahr?«
»Ich war zum Studium in Paris.«
»Aha.«
Das klang wie ein Tadel, als hätte ich mich um meine Pflicht gedrückt, damals wie mein Bruder bei dieser schnellen und schändlichen Niederlage mein Leben zu lassen. »Der Krieg war vorbei, bevor ich Gelegenheit hatte, mich an ihm zu beteiligen«, erwiderte ich knapp.
Falls er meine Verstimmung bemerkte, tat er sie mit einem Schulterzucken ab.
»Nun, was kann man schon von österreichischen Generälen erwarten? Das nächste Mal, wenn wir gegen die Preußen kämpfen, werden wir von unseren eigenen angeführt werden. Natürlich wissen Sie, wie man mit einer Waffe umgeht?«
»Ich gehe viel auf die Jagd.«
»Ist allerdings nicht ganz dasselbe, nicht wahr? Ein Tier zu töten – einen Menschen zu töten.«
»Ist das eine Fähigkeit, die ich in der Ungarischen Liga brauchen werde?«
»Wenn die Zeit gekommen ist, ja. Die Österreicher werden uns nicht unsere Unabhängigkeit schenken, wir werden sie uns von ihnen nehmen müssen. Stört es Sie, Blut zu vergießen?«
»Für den richtigen Zweck, nein.«
»Ist das sicher – ich hatte gerade den Eindruck, als wären Sie ein klein wenig verstimmt?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Sie sollten darüber nachdenken. Dies ist kein Club für kleine Jungen. Und im übrigen akzeptieren wir keinen Austritt. Wenn Sie erst einmal dabei sind, gibt es kein Zurück.«
Als ich ihn verließ, schien er zufrieden und verabschiedete sich von mir mit einem festen Händedruck.
»Sie haben sich gut gehalten, und wir wären froh, Sie bei uns zu haben. Aber lassen Sie sich die Sache erst einmal durch den Kopf gehen.«
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich wieder im Zug nach Transsylvanien und bin mir noch immer nicht ganz sicher, wieviel von Rados Verschwörungsgeschichte realistisch ist und wieviel davon nur das Wunschdenken eines Soldaten, den es nach Taten und Intrigen gelüstet, damit sein Leben einen Sinn bekommt. Rado ist irgendwie furchtbar, aber steht er wirklich einer Organisation von Verschwörern vor, oder hat er die Bedeutung einer Gruppe dummer alter Kerle aufgebauscht, die über ihrem Brandy sitzen und antiösterreichische Sprüche klopfen? Wie es auch sei, ich habe jedenfalls vor, mich zurückzuhalten und mich nicht in die Machenschaften der Liga hineinziehen zu lassen.
II. JUNI 1887
Heute habe ich der Bäckerei einen unvorbereiteten Besuch abgestattet.
»Wir sind so dankbar, daß Sie versuchen wollen, etwas für Estelle zu finden«, sagte Theissen und schüttelte meine Hand wie eine Pumpe.
»Ich werde alles tun, was ich kann«, erwiderte ich und war mir nicht bewußt, etwas getan zu haben, was eine solche Überschwenglichkeit gerechtfertigt hätte.
Hinten im Laden lächelte mich Estelle ungewöhnlich schüchtern an.
»Es ist doch richtig, daß die Familie im diplomatischen Dienst steht und viel auf Reisen ist?« fragte Frau Theissen.
Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Estelle kam mir zu Hilfe. »Ich habe meinen Eltern von der Familie Barry erzählt«, sagte sie.
Frau Theissen flatterte aufgeregt um mich herum. »Sie schienen absolut entzückt zu sein, Herr Graf. Ich bin sicher, daß sie sehr gebildet sind. Monsieur bis vor kurzem Botschafter in Siam und Madame die letzte einer Adelslinie, die in der Revolution völlig ausgelöscht wurde. Wie kultiviert das klingt! Und die Kinder... Heb, absolut lieb, da bin ich sicher!«
Ich muß einen erstaunten Eindruck gemacht haben. Estelle kam mit einem verlegenen, schuldbewußten Lächeln näher. »Ich weiß, Sie wollten nicht, daß ich etwas sage, bevor die Einzelheiten geklärt sind. Aber als Sie gestern in den Laden kamen und es mir erzählt haben, konnte ich es einfach nicht für mich behalten. Es war alles viel zu aufregend. Und gleich nachdem Sie wieder weg waren, kam Mama von ihren Besuchen zurück, und da bin ich schwach geworden und habe es ihr erzählt.«
»Ja, es sind ganz
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