Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
Vom Netzwerk:
ein Szenarium, das ich mir nur für den entsetzlichsten aller Notfälle aufhebe – Onkel Kálmán mit gezogenem Säbel an der Schlafzimmertür. Aus unerklärlichen Gründen habe ich diese List vor zwei Nächten nicht angewandt, und dieses Versäumnis war schuld an der Erektion, die, wie Regen in der Wüste, Elisabeth aus ihrem Zustand frommer Entsagung gerissen hat.

    30. MAI 1887

    Theissen war nervös. Er schwitzte, und sein Hemdkragen sah sehr unbequem aus. Frau Theissen war auf ihre Weise nervös, überschwenglich und albern.
    Estelle war kühl, gefaßt, zuversichtlich und himmlisch schön.
    Ich war müde und nervös, nachdem ich in der letzten Nacht wenig geschlafen hatte. Elisabeth hatte es auf sich genommen, mich in meinem Schlafzimmer zu besuchen, und ich mußte dreimal Onkel Kálmáns Geist heraufbeschwören, bevor sie aufgab und mich wieder schlafen ließ. Aber meine unterdrückte Nervosität verlieh dem Gespräch eine gute Note, denn es drängte die Theissens in die Verteidigung und gab ihnen einen Vorgeschmack darauf, was es hieß, als Bittsteller zu mir zu kommen und auf meine noble Großzügigkeit angewiesen zu sein.
    Ich empfing sie in der Bibliothek. Sie saßen in einem Halbkreis vor mir, kerzengerade und stocksteif auf den Stühlen mit den hohen Rückenlehnen, während ich es mir in dem alten Clubsessel des Grafen gemütlich machte.
    »Ich will nicht, daß sie als Hausmädchen arbeitet, wissen Sie«, sagte Frau Theissen. »Nicht als Zofe bei einer Dame oder so etwas. Dafür ist Estelle zu schade.«
    »Aber wir wären Ihnen wirklich dankbar, Herr Graf«, warf ihr Ehemann schnell ein, damit ich mich nicht beleidigt fühlte, »wenn Sie sich imstande sähen, uns zu helfen.«
    Ich betrachtete Estelle ganz unverhohlen, als würde ich prüfen, ob sie für irgendeine Möglichkeit, die mir durch den Kopf ging (was tatsächlich der Fall war), genügend moralische Stärke besaß. Jedesmal, wenn ich sie sehe, bin ich von ihrer Selbstsicherheit und ihrer gefaßten Haltung beeindruckt. Sie erwiderte meinen Blick ganz ruhig, aber mit dem gleichen Interesse, mit dem ich sie taxierte.
    »Vielleicht wissen Sie das gar nicht, Herr Graf«, begann Frau Theissen mit einem affektierten Lächeln, »aber Estelle ist mit den Esterházys verwandt.«
    »Tatsächlich? Davon habe ich nichts gewußt«, erwiderte ich und drehte mich wieder zu Estelle um, als hätte diese neue Information einen zweiten Blick nötig gemacht.
    »Seitens meiner Mutter«, fügte Frau Theissen stolz hinzu, und ich hatte den Eindruck, als wäre dies ein gesteigerter Höhepunkt, auf den sie schon gierig gewartet hatte.
    »Natürlich ist es nur eine sehr entfernte Verwandtschaft«, sagte Theissen und warf seiner Frau einen bedeutungsvollen Blick zu, der eine Spur Mißgunst zu enthalten schien. »Nicht etwa, daß wir behaupten würden, irgendwie blaues Blut in den Adern zu haben.«
    »Diese Verbindung bestand schon vor langer Zeit und ist niemals offiziell gemacht worden«, sagte Frau Theissen geziert.
    »Das ist alles schon lange her und für das, was jetzt ist, ohne jede Bedeutung«, brummte Theissen.

    »Herr Graf, ich erwähne es auch nur, weil ich glaube, daß Estelle für etwas Höheres bestimmt ist, und das hat zum Teil mit ihrer Herkunft zu tun.«
    Sie schienen drauf und dran, eine alte Familienfehde vor mir auszutragen, mit zunehmender Erregung und ohne eine Lösung in Sicht. Estelle schien es gar nicht zu hören. Sie hatte nur Augen für mich und schien aufzublühen, wann immer ich in ihre Richtung sah.
    »Trotzdem, Blut ist Blut«, sagte ich, so wie ein Richter vielleicht einen Urteilsspruch verkündet.
    Sie warteten hoffnungsvoll darauf, daß ich ihnen ihr Problem löste, aber das war unmöglich. Sie wollten ihre Tochter bei einer guten Familie verdingen, aber auch, daß sie von der Familie wie eine der Ihren behandelt wurde. Dachten sie etwa, die gesellschaftliche Kluft, die den Herrn vom Diener trennt, würde in der exotischen Gesellschaft Budapests verschwinden? Sie wollten, daß sie sich Kultur und Wissen der großen Welt aneignete, aber sicher und beschützt war. Sie sollte savoir vivre bekommen, aber ihre Tugendhaftigkeit behalten. Was sie im Grunde für Estelle in Budapest wollten war ein Ehemann, der ein paar Sprossen höher auf der sozialen Leiter stand als sie selbst.
    Schließlich sagte ich: »Könnte ich wohl einmal mit Estelle sprechen ?«
    Sie stimmten bereitwillig zu, rührten sich aber nicht von der Stelle. Ein paar unbehagliche

Weitere Kostenlose Bücher