Das geheime Leben des László Graf Dracula
Augenblicke lang lächelte ich höflich in ihre Richtung, während sie mich verwirrt ansahen. Schließlich begriff Frau Theissen, daß ich mit ihrer Tochter allein sprechen wollte, und ging mit ihrem Mann ergeben und so vorsichtig aus dem Zimmer, als könnten ihre Schuhe das Parkett zerkratzen.
Ihr Vertrauen ist rührend und beruht auf dem aristokratischen Prinzip: Ich bin von Adel, daher bin ich moralisch höherstehend, daher können sie ihre Tochter ohne Bedenken und ohne Aufsicht mit mir allein lassen. Ich bin ein übler Kerl.
In Georgs Regiment erwartete man von Männern, die das Ansehen ihrer Familie verunglimpften, indem sie das einfache Volk ausnutzten, sich das Hirn auszublasen. Ich weiß um diesen Ehrenkodex, heiße ihn auch gut, und doch lasse ich mich nicht von meinem Kurs abbringen. Ich habe Mitgefühl mit den Theissens, mit ihren plumpen Körpern und ihren aufgeblasenen Ansprüchen und ihren stolzen Hoffnungen auf ihr Kind und mit all den anderen menschlichen, herzerweichenden Eigenschaften, die aus ihnen eine so leichte Beute machen: Und doch werde ich ihre Tochter zugrunde richten.
Ich machte die schwere Tür hinter ihnen zu und drehte mich zu Estelle um.
Wie sie so dastand, mit der einen Hand auf der Lehne meines Sessels, in dem ich zuvor gesessen hatte, drückten mir ihre Haltung, ihr schneller Atem, ihre glänzenden Augen und die Art, wie sie die Lippen leicht geöffnet hatte, ihre Bereitschaft aus, ohne daß wir auch nur ein Wort gewechselt hatten.
»Ich würde alles tun, um aus dieser Stadt rauszukommen«, sagte sie. »Alles.«
Sie hatte es mehr gehaucht als gesprochen. Ich hätte nie geglaubt, daß ein einziger Satz so berauschend sein kann.
»Würdest du gern nach Budapest gehen?« fragte ich sie.
»Ja. Und dann nach Paris.«
Ich lachte. Meine Brust hatte sich zusammengezogen, so daß ich kaum Luft bekam. »Das sind kühne Pläne.«
»Ja. Ich habe alle möglichen Pläne. Ohne Ehrgeiz lohnt sich das Leben nicht.«
Sie sah prüfend in mein Gesicht, um festzustellen, ob ich mich über sie lustig machen würde. Ich dachte, wie jung sie ist, und wie stark. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich lebendig.
»Vielleicht solltest du zuerst einmal mit Budapest beginnen.«
»Wenn Sie mir helfen könnten, in Budapest eine Stelle zu finden, wäre ich Ihnen ewig dankbar.« Wieder war ihre Stimme so leise, fast ein Flüstern, mit einem wundervollen rauhen, sinnlichen Ton darin, der an Ergebung grenzte. Ich fühlte mich schwach vor Verlangen.
»Würdest du gerne eine Gouvernante sein?« Ich hatte einen Schritt auf sie zu gemacht, und sie bog den Kopf nach hinten und sah mir in die Augen.
»Nein«, sagte sie.
»Was möchtest du dann?«
Sie starrte auf meine Lippen, und sie seufzte im letzten Moment, als sich mein Mund über ihrem schloß.
7. JUNI 1887
Es ist eine lange Bahnfahrt bis Budapest, die keine große Annehmlichkeiten bietet. Als ich einstieg, bestand der Stationsvorsteher darauf, daß ich ein eigenes Abteil bekam, obwohl ich keines reserviert hatte. Ich nehme an, daß er das Gefühl hatte, seinen Posten mir zu verdanken, und daß er mir seine Dankbarkeit beweisen wollte, aber als Folge davon mußte ich diese langweilige Reise nun in prächtiger Abgeschlossenheit ertragen. Ich war ungeduldig, nervös und nicht fähig, ruhig mit einem Buch dazusitzen, wie ich es noch vor einem Monat konnte.
Bei den seltenen Anlässen, zu denen ich seit meiner Rückkehr von Paris in Budapest war, scheine ich meinen Geschäften wie ein Schlafwandler nachgegangen zu sein, ohne die Veränderungen zu bemerken, die stattgefunden haben. Jetzt bin ich wieder wach und sehe, daß in der Stadt eine andere Atmosphäre herrscht. Sicher, die gepflasterten Straßen von Buda, die sich von der Donau bis hinauf zu dem hoch aufragenden Schloß winden, haben ihren alten Charme beibehalten, und die Gebäude erzählen von ihrer feudalen Vergangenheit, aber sonst ist überall in der Stadt ein geschäftiges Treiben und Gehetze, eine taumelnde, moderne Stimmung, die mich an das Paris vor zwanzig Jahren erinnert.
Als ich durch die Stadt schlenderte, kam ich am Büro eines Immobilienmaklers vorbei und wäre schon fast hineingegangen, um mich nach einer Wohnung zu erkundigen, die ich mieten wollte, aber dann kam es mir doch etwas verfrüht vor. Estelle hatte mir in jeder Hinsicht zu verstehen gegeben, daß sie gern meine Mätresse wäre, aber ich möchte sie nicht zu formellen Arrangements drängen, sonst wird sie am Ende
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