Das geheime Leben des László Graf Dracula
zuge-wachsenen Ort, und ich prägte mir ein, den Förstern aufzutragen, sich um das Waldstück zu kümmern; es gehörte dringend ausgedünnt, denn die Bäume waren spindeldürr, und das Licht drang nur an wenigen Stellen bis auf den Boden vor. Aber für meine Zwecke war es ideal; von hier aus wollte ich nach Estelle Ausschau halten – und nach anderen Spaziergängern, denn es würde sich für den Grafen nicht geziemen, hier allein mit ihr gesehen zu werden.
Ich hockte mich neben eine junge Eiche und wartete. Ich befürchtete, zu spät vom Schloß losgeritten zu sein, so daß Estelle ihren Spaziergang schon beendet hatte und wieder nach Hause gegangen war, denn es wurde bereits dunkel, und die Kühe auf der Weide ließen sich zur Nachtruhe im Gras nieder. Doch sie hatte mir an diesem Morgen eine versteckte, aber unmißverständliche Einladung zukommen lassen, sie hier zu treffen, und ich wußte inzwischen, daß sie eine entschlossene und einfallsreiche junge Frau war.
Als ich von unten die Allee entlangsah, war mir die Sicht zur Brücke zum größten Teil durch die Kastanienbäume versperrt, so daß ich zuerst nicht genau erkennen konnte, ob die weiße Gestalt, die ich eine quälende Sekunde lang erspäht hatte, Estelle war. Dann sah ich sie noch einmal und wußte, daß sie es war. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Sie kam zwischen den Bäumen herangeschlendert, einen Schirm hinter sich herziehend und sich von Zeit zu Zeit wie mitten im Tanz um sich selbst drehend, um nach hinten zu sehen. Sie gab ein wunderbares Bild einer Maid ab, die sich mit leerem Kopf Seufzern und poetischem Geplauder hingab. Außer ihr sah ich niemanden.
Ich wunderte mich darüber, daß sie allein Spazierengehen durfte. War sie so geschickt mit Vorwänden, mit Alibis und Geschichten, hinter denen sie ihr wirkliches Tun verbarg? Hatte sie Erfahrungen? Von diesem Moment an stellte ich Spekulationen an, ob es schon andere Liebhaber gegeben hatte. Ich weiß selbst nicht, welche Antwort mir lieber ist. Wenn ich nicht der erste bin, brauche ich mir auch keine Gedanken darüber zu machen, daß ich sie vom rechten Weg abbringe. Aber ein Teil von mir möchte gern, daß sie noch unschuldig ist.
Ich hätte sie rufen können, als sie mit mir auf gleicher Höhe war, aber ich war so davon gefangen, daß sie sich meiner nicht bewußt war, von den ungeduldigen Stößen ihres Schirms, von der Bewegung ihres Kopfes, von der sanften Kurve ihres Halses und von ihren halbgeöffneten, sinnlichen Lippen.
Als Estelle vorbeigegangen war, kletterte ich schnell über den Zaun und lief über die Weide, um mich hinter einer Kastanie zu verstecken. Die Kühe sahen mir gelangweilt zu. Ich blickte den Weg zurück, auf dem sie gekommen war, und als ich niemanden sah, huschte ich schnell zum nächsten Baum und dann wieder zum nächsten und zu noch einem, bis ich sie eingeholt hatte. Sie hörte mich nicht. Sie summte vor sich hin – eine Tanzmelodie, glaube ich –, und der Klang ihrer Stimme vermischte sich mit dem Rauschen des Flusses hinter ihr.
Ich hörte sie in einer Mischung aus Ungeduld und wachsender Enttäuschung Seufzer ausstoßen. Es war ein wunderbares Gefühl, in ihrem Herzen zu sein, aber gleichzeitig unsichtbar. Es verlieh mir das Gefühl von Macht.
Estelle drehte sich um, und während sie darauf wartete, daß ich am anderen Ende der Allee auftauchte, lief ich heimlich hinter sie, so daß ich, als sie weiterging, plötzlich vor ihr stand, dort, wo die Allee gerade eben noch leer gewesen war. Einen Augenblick lang sahen wir einander verwundert an, dann kam sie zu mir gelaufen, und ich nahm sie in die Arme und hob sie hoch und hielt sie fest und vergaß die Welt um uns herum.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dagestanden sind. Langsam stellte ich sie wieder auf die Füße. Sie machte die Augen auf, die aber verträumt waren und nichts wahrnahmen, während sich mein Mund auf ihren Mund legte und meine Lippen den sanften Druck ihrer Lippen spürten. Das Rauschen des Wassers erfüllte mein Bewußtsein. Ich fühlte, wie sie sich mir hingab. Ihr Mund entspannte sich, und ich spürte die feuchte Innenseite ihrer Lippen, als wir uns im selben Rhythmus aneinanderpreßten und eine unbekannte Botschaft zwischen unseren Körpern austauschten. Ihre Hände an meinem Nacken wurden zu Fingern, die mich erforschten und streichelten. Sie ließ zu, daß ich ihren Körper an mich zog und wir ineinander verschmolzen. Ich war verloren.
Sie war es, die sich atemlos von mir
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