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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Kind habe ich mich dort hineingeschlichen und in die geheimnisvollen Flüssigkeiten gestarrt, beobachtet, wie sie das Licht einfingen, und die Stopfen herausgezogen, um verbotenerweise daran zu schnuppern. Es erscheint mir irgendwie grotesk, jetzt, wo sie tot ist, ihren Whisky zu trinken. Diese Fürsorglichkeit ist meine Art, Beth zu zeigen, dass ich weiß: Sie will nicht wieder hier sein. Doch dann steigt sie mit einem tiefen Seufzen aus und läuft auf das Haus zu wie getrieben, und ich eile ihr nach.
    Von innen wirkt das Haus kleiner, wie viele Dinge, die man aus der Kindheit kennt, aber es ist immer noch riesig. Meine WG -Wohnung in London erschien mir groß, als ich dort einzog, weil sie so viele Zimmer hat, dass man nicht durch die trocknende Wäsche spähen muss, um fernzusehen. Jetzt stehe ich in der weiten Eingangshalle und verspüre den lächerlichen Drang, Rad zu schlagen. Wir zögern und stellen unsere Reisetaschen am Fuß der Treppe ab. Zum allerersten Mal sind wir allein hier angekommen, ohne unsere Eltern, und das fühlt sich so seltsam an, dass wir kopflos im Kreis laufen wie die Schafe. Unsere Rollen werden von Gewohnheiten, von Erinnerungen und Gepflogenheiten definiert. Hier, in diesem Haus, sind wir Kinder. Aber ich muss das irgendwie überspielen, denn ich sehe, wie Beth der Mut verlässt und dieser wohlbekannte hektische Ausdruck in ihre Augen tritt.
    »Setz schon mal den Kessel auf. Ich suche den Schnaps, und dann trinken wir Kaffee mit Schuss.«
    »Erica, es ist noch nicht einmal Mittag.«
    »Na und? Wir sind im Urlaub, oder etwa nicht?« O nein, sind wir nicht. Ich weiß zwar nicht, was genau das hier ist, aber mit Sicherheit kein Urlaub. Beth schüttelt den Kopf.
    »Ich trinke nur einen Tee«, sagt sie und schleicht in Rich tung Küche. Ihr Rücken ist schmal, die Schulterblätter zeich nen sich scharf unter dem Stoff ihrer Bluse ab. Der Anblick beunruhigt mich – erst vor zehn Tagen habe ich sie das letzte Mal gesehen, aber sie ist unübersehbar noch dünner geworden. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen, dafür sorgen, dass es ihr wieder gut geht.
    Das Haus ist kalt und feucht, also drücke ich an den Knöpfen einer uralten Schalttafel herum, bis ich höre, dass sich Dinge regen, Rohre in der Tiefe stöhnen und Wasser brodelt. Im Kamin liegt alte Asche, und im Papierkorb des Salons finde ich benutzte Taschentücher und einen süßlich vor sich hin faulenden Apfelbutzen. Mich so in Merediths Leben breitzumachen, gibt mir ein scheußliches Gefühl, wie eine leichte Übelkeit. Als könnte ich mich umdrehen und sie im Spiegel sehen – eine säuerliche Grimasse mit künstlich goldblondem Haar. Ich bleibe am Fenster stehen und schaue auf den winterlichen Garten hinaus, der ein Durcheinander zu hoch geschossener, umgeknickter Pflanzen birgt, wild und ungepflegt. Es gibt Gerüche, die ich mit den Sommerferien hier verbinde: Kokosmilch-Sonnencreme; Ochsenschwanzsuppe zu Mittag, und wenn es noch so heiß war; süße, schwere Duftwolken von den Rosen und Lavendelsträuchern an der Terrasse; der scharfe, irgendwie fleischige Geruch von Merediths fetten Labradoren, die ihre heiße Erschöpfung an meine Schienbeine hecheln. Jetzt ist alles so anders. Das hätte Jahrhunderte her sein können. Jemand anders könnte all das erlebt haben. Ein paar Regentropfen klatschen ans Fenster, und ich bin hundert Jahre entfernt von allem und allen. Hier sind wir wahrhaftig allein, Beth und ich. Allein, wieder in diesem Haus, in unserem verschworenen Schweigen, nach all der Zeit, in der nichts gelöst wurde, in der Beth sich selbst Stück für Stück auseinandergerissen hat, während ich alledem immer nur ausgewichen bin.
    Wir müssen zuerst einmal sortieren und irgendeine Ordnung in die Schichten ihrer Besitztümer bringen, die vielen Gegenstände, die sich wie Schneewehen in den Ecken angesammelt haben. Dieses Haus hat so viele Zimmer, so viele Möbel, so viele Schubladen und Schränke und Verstecke. Der Gedanke, es zu verkaufen, sollte mich wohl traurig stimmen, weil die Familiengeschichte, die über lange Zeit bis zu Beth und mir hinreicht, dann gebrochen wäre. Aber ich bin nicht traurig. Vielleicht deshalb, weil das alles von Rechts wegen Henry erben sollte. Das ist die Stelle, an der alles gebrochen ist. Ich beobachte eine Weile, wie Beth Spitzentaschentücher aus einer Schublade nimmt und auf ihrem Knie stapelt. Sie holt eines nach dem anderen heraus, betrachtet die Muster, fährt sanft mit den

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