Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
aber er war sicherlich nicht hierhergekommen, um einer Frau hinterherzuschauen. Wieder vergeudete Zeit, eine weitere
Sackgasse. Vielleicht stimmte, was Hugues de Narbonne gesagt hatte, und die Spur der Alchimie führte wirklich nirgendwohin. Doch jetzt war es die einzige, die er verfolgen konnte.
Gerardo sah Hugues de Narbonne an und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Am nächstliegenden wäre es gewesen, sich zu verabschieden und zu gehen, aber das wollte er nicht. Außer einem Tempelritter der Komturei von Ravenna, wo er sein Gelübde abgelegt hatte, war er noch nie jemandem begegnet, der im Heiligen Land gelebt und gekämpft hatte. Sein Kopf war voll von Geschichten und Legenden darüber, und jetzt hatte er niemand Geringeren vor sich als den Kommandanten von Akkon. Aber was konnte er ihn fragen? Sollte er ihn etwa zu sich nach Hause einladen und ihn auffordern, von alten Kämpfen zu erzählen? Hugues de Narbonne hätte ihn nur ausgelacht - und das zu Recht.
Der Franzose erlöste ihn aus seiner Verlegenheit, als hätte er gerade seine Gedanken gelesen. »Warum gehen wir nicht zu mir nach Hause und essen etwas?«, schlug er vor. »Dabei könnten wir uns ein wenig unterhalten. Ich kann mir vorstellen, dass du mir viele Fragen stellen möchtest.«
Während ihres Gesprächs im Haus des Bankiers hatte er ihn stets mit »Ihr« angeredet, und nun war er zum »Du« übergegangen. Seine Stellung im Orden gab ihm jedes Recht dazu, aber Gerardo gefiel die Vorstellung, dass dies ein Vertrauensbeweis war und kein Privileg seines höheren Ranges. Er nahm die Einladung begeistert an, und sie machten sich sofort auf den Weg in den Borgo dei Cartolai. Das Viertel war nach den Papiermachern benannt, die hier ihre Werkstätten hatten. Die beiden Männer folgten ein kurzes Stück dem Kanal, der die Wasser der Savenna in die Stadt leitete. Unterwegs zeigte sich Hugues de Narbonne äußerst umgänglich und sehr gesprächig.
Als sie sein Haus betraten, lachte er herzlich, als er sah, wie verwirrt Gerardo über die Unordnung in seiner Küche war.
»Als ich die Wohnung mietete, wollte ich keine Dienerschaft«, sagte er. »Aus Gründen der Geheimhaltung. Einige Male habe ich versucht, mir selbst ein Mahl zu kochen, dann habe ich es jedoch aufgegeben. Ich gehe zum Essen in die Taverne oder ich lasse mir die Speisen bringen.«
Er nahm einen Soldo aus der Tasche, stellte sich an die Tür und pfiff zwei Kinder heran, die sich damit vergnügten, über die Pfützen am Straßenrand zu hüpfen. Der Ältere der beiden kam sofort zu ihm und kassierte mit einem breiten Lächeln die Münze.
»Sag deiner Mutter, sie soll uns etwas Gutes zu essen bringen«, erklärte Hugues in holprigem Volgare , das den kleinen Jungen und selbst Gerardo zum Lachen brachte.
Der Kleine rannte davon, während sein Bruder in die Pfütze pinkelte, über die er gerade gehüpft war. Hugues schloss die Tür. »Seine Mutter ist mit dem Wirt der Taverne an der Ecke verheiratet«, sagte er und ging Gerardo in einen kleinen Raum voraus, der mit einem Tisch, Stühlen und einer langen, schwarzen Anrichte mit zwei Kerzenleuchtern darauf ausgestattet war. »Sie ist nicht nur eine schöne Frau, sondern auch sehr entgegenkommend.«
Gerardo kommentierte dies lieber nicht und setzte sich auf den Platz, den Hugues de Narbonne ihm zuwies. Als er sich gesetzt hatte, fuhr der Franzose fort: »Du denkst jetzt bestimmt: ›Wie kann dieser Mann nur so schamlos seine Gelübde brechen? ‹ Habe ich Recht?«
»Kommandant, ich habe nicht …«
»Gib es auf, es steht dir ins Gesicht geschrieben. Doch die entscheidende Frage lautet anders: Was ist ein Gelübde? Antworte.«
»Nun, eine heilige Verpflichtung, die wir vor Christus annehmen …«
»Vor der Heiligsten Maria.«
Gerardo stockte der Atem. Unter den Dutzenden Anklagepunkten gegen seinen Orden erinnerte er sich nur zu gut an denjenigen, der ihnen zur Last legte, dass die Templer die Muttergottes Jesus Christus gleichstellen wollten. Obwohl er Maria die schuldige Verehrung entgegenbrachte, hatte Gerardo diese Aufwertung der Jungfrau Maria weder praktiziert noch angenommen, diese Anschuldigung sei etwas anderes als ein Hirngespinst der krankhaften Fantasie Philipps des Schönen. Und dass dieser ein begründetes Interesse daran hatte, die Tempelritter zu beseitigen, damit er seine enormen Schulden bei ihnen nicht bezahlen musste, lag auf der Hand.
Hugues de Narbonne schien sich angesichts von Gerardos Bestürzung zu
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