Das Geheimnis der Apothekerin
zufrieden hier. Ich frage mich«, sagte sie freundlich, »ob Sie jemals irgendwo zufrieden sein werden?«
Sie hatte das aus echter Sorge heraus gefragt und war erleichtert, dass er nicht gekränkt war.
»Das frage ich mich auch.« Er blickte auf den Horizont hinaus. »Aber ich denke immer noch, ich werde eines Tages ein Zuhause finden. Eines Tages, irgendwo, hinter jenem Hügel oder hinter dem nächsten. Im nächsten Land oder im nächsten Hafen …«
Sie nickte nachdenklich. »Ich selbst möchte nicht so leben, nicht immer auf dem Sprung, ein paar Jahre hier, ein paar Jahre dort. Früher vielleicht, aber jetzt nicht mehr. Seit der Zeit, die ich in London verbracht habe, spüre ich, wie stark ich in Bedsley Priors verwurzelt bin.«
»Ja, manchmal müssen wir etwas … oder jemanden … verlieren, bevor wir seinen Wert erkennen.«
Sie erinnerte sich, dass Francis einmal etwas Ähnliches gesagt hatte. Sie schwiegen eine Zeit lang, während jeder über seine Verluste nachgrübelte. Schließlich fragte sie: »Wann werden Sie uns verlassen?«
»Sobald ich kann. Ich habe eine Anzeige in der Times aufgegeben und bereits ein Angebot erhalten. Wenn alles läuft wie geplant, werde ich die Apotheke verkaufen und in vierzehn Tagen abreisen.«
Sie stöhnte innerlich. Also müssen wir uns schon wieder an einen neuen Apotheker gewöhnen. »Ich glaube, Ihr Nachfolger weiß gar nicht, wie glücklich er sich schätzen kann bei so wenig Konkurrenz, jetzt, da es Haswell nicht mehr gibt und Dr. Graves auch weg ist.«
»Hat Ihr Vater denn nicht vor, die Apotheke wieder zu öffnen?«
»Jedenfalls gibt er es nicht zu. Aber ich glaube, er wird den Kräutergarten erweitern. Ihm gefällt der Gedanke, mit seinen berühmten Haswell-Kräutern etwas zu verdienen, so wenig es auch sein mag.«
Mr Shuttleworth lachte leise. »Vielleicht sollte er sich hier als Chemiker etablieren.«
»Das glaube ich nicht. Wir Haswells sind Apotheker, das gehört zu uns wie die Tatsache, dass wir Engländer sind. Man kann auch die Staatsbürgerschaft nicht nach Belieben wechseln.«
Wieder lachte er und nickte zustimmend.
Mehrere Minuten standen sie schweigend beieinander. Unten auf dem Kanal fuhr ein Kanalboot langsam unter der Honeystreet Bridge hindurch. »Ich weiß noch, wie ich hier durchkam und Sie auf der Brücke stehen sah«, sagte Mr Shuttleworth. »Einer der drei lieblichen Gründe, mich hier niederzulassen.«
Sie nickte bei der Erinnerung.
»Wissen Sie, ob Miss Robbins das Meer mag?«
»Mr Shuttleworth!« Lilly war fassungslos und zugleich amüsiert. »Meinen Sie das ernst?«
»Warum nicht??«
»Sie ist die Tochter eines Werftbesitzers«, meinte Lilly.
»Genau das habe ich auch gerade gedacht.«
Lilly dachte an Francis. »Mr Baylor schien eine Menge von ihr zu halten.«
»Glauben Sie? Er schenkte ihr eine gewisse Aufmerksamkeit, das stimmt. Aber nichts im Vergleich zu der Aufmerksamkeit, die er Ihnen schenkte. Aber wie auch immer, er ist weggegangen und hat das Feld mir überlassen.«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte wider ihren Willen.
»Finden Sie mich unbeständig, Miss Haswell? Dem muss ich widersprechen. Ich war stets derjenigen von ihnen, die ich überzeugen konnte, sich in mich zu verlieben – und die nicht dazu neigte, seekrank zu werden – unverbrüchlich treu.«
Die nicht dazu neigte, überhaupt krank zu werden , dachte sie traurig, sagte es aber nicht.
»Nun denn …« Er rieb sich schelmisch die Hände und sah zur Sägemühle und zur Werft hinüber. »Ich frage mich, ob Miss Robbins in Stimmung für ein Abenteuer ist.«
Noch immer kopfschüttelnd blickte Lilly ihm nach, als er beschwingten Schrittes davonging.
Sie merkte, dass sie schon viel zu lange geblieben war und ging langsam den feuchten, windigen Hügel hinunter, um Mrs Mimpurse und Jane zu helfen, die Abendgäste zu bewirten. Die Umstellung von den Apothekermaßen, die ihr zur zweiten Natur geworden waren, auf die Küchenmaßeinheiten war ihr leichter gefallen, als sie gedacht hatte. Trotzdem fand Maude sie noch oft über den Arbeitstisch gebeugt, mit einer ausgefransten Feder und einem Blatt Papier in der Hand, wie sie die Summe prüfte. Lilly war keine besonders gute Köchin, aber sie lernte ständig dazu. Das Backen kam ihr mehr entgegen. Sie mochte die sorgfältigen Abmessungen, die nötig waren, die Teelöffel voll Hefe und die Mengen an Butter und dergleichen, die ein Rezept vorschrieb. Sie arbeitete nicht nach der Methode: eine Prise davon und
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