Das Geheimnis der chinesischen Vase
Sache sofort ab, und Sie, Herr Eichberg, erklären sich
zahlungswillig. Es hängt also auch davon ab, wie intelligent und misstrauisch
die Kidnapper sind. Ob wir’s mit völlig verrohten, brutalen Typen zu tun haben,
oder ob sie noch wissen, was Mitgefühl ist.«
Plötzlich begann Pia Friese zu
schluchzen.
Tränen strömten ihr aus den
Augen. Ihr Busen bebte. Ein Würgen steckte im Hals.
»Mein... mein Kind«, stammelte
sie. »Gebt mir mein Baby wieder. O Gott! Habt doch Mitleid! Ich... würde alles
geben. Aber ich habe nichts.«
Sie schnüffelte und musste sich
kräftig schnäuzen, während ihr die Augen verquollen. Garantiert sah sie ihre
Umwelt nur noch durch Tränenschleier.
Fassungslos starrte Tarzan sie
an. Dann begriff er. Die Schauspielerin stimmte sich auf ihre Rolle ein. Sie
lebte schon darin, als wäre es Wirklichkeit.
Das hatte er noch nicht erlebt.
Auch Gaby staunte mit großen
Augen.
»Es ist 17.14 Uhr«, sagte
Glockner nach einem Blick auf seine Armbanduhr. »Noch 16 Minuten.«
5. Komödie am Telefon
Es war ein baufälliges, kleines
Haus in mieser Gegend am Stadtrand. Man sah auf Müllhalden, auf einen stinkigen
Abwässerkanal und die Schlote einer Fabrik.
Dennoch — Schaudig fühlte sich
wohl in seiner Bude.
Niemand beachtete ihn. Er lebte
so unauffällig, wie seine Situation es erforderte.
Dass die Entführung reibungslos
gelungen war, konnte er kaum fassen.
Jetzt lag Barbara auf dem
Tisch. Er hatte ihr frische Windeln angelegt — und deshalb, vor Wochen schon,
in der Volkshochschule einen Babykurs für Väter gemacht.
Das Baby sollte nicht leiden.
Im Gegenteil! Für die Million,
die es einbringen würde, konnte es gute Behandlung erwarten.
In einer Trinkflasche mit
Schnuller hatte er Milch erwärmt.
Jetzt hatte er Barbie auf dem
Arm, kraulte ihr kleines Gesicht und gab ihr die Flasche.
Forschend waren ihre dunklen
Augen auf ihn gerichtet. Als wisse sie genau, dass er nicht ihr Wohltäter war.
Immerhin — sie trank. Und als
sie fertig war, trug er sie umher. Sanft klopfte er ihr auf den Rücken, bis sie
ihr Bäuerchen machte.
Er hatte zwei Sessel
zusammengeschoben und ein Lager vorbereitet. Kaum lag sie dort, schlossen sich
ihre Äuglein und sie schlief ein.
Als Schaudig auf die Uhr sah,
zuckte er zusammen.
Schon 17.21 Uhr. Jetzt wurde es
Zeit, verdammt!
Er verließ das Haus, das nur
zwei Zimmer enthielt — außer den Nebenräumen, schloss sorgfältig ab, stieg in
seine staubige Karre und fuhr zur nächsten Telefonzelle.
Sicherlich — sein Haus hatte
Telefon.
Aber wenn die Polizei auf Draht
war, konnte sie feststellen, von wo der Kidnapper anrief. Also Vorsicht! Denn
bis ein Streifenwagen die Telefonzelle erreichte, war er längst verduftet.
In der Telefonzelle zog er eine
Wäscheklammer aus der Tasche und steckte sie auf die Nase.
Das drückte und sah ziemlich
lächerlich aus, aber es veränderte seine Stimme völlig. Er tat noch ein Übriges
und legte sein doppelt gefaltetes Taschentuch über die Sprechmuschel des
Hörers.
Als er wählte, war ihm ein
bisschen zittrig zu Mute. Aber der Gedanke an die Million gab ihm Zuversicht.
Sofort wurde abgehoben.
»Eichberg«, sagte eine
Männerstimme.
»Sie haben meinen Anruf
erwartet«, näselte Schaudig. Und plötzlich fühlte er sich, als wäre er der
Größte und Stärkste auf der Welt. Aus der Hand würde dieser Eichberg ihm
fressen — trotz seiner Millionen.
»Was?«, kam es in scharfem Ton
zurück. »Ach so! Sie sind der Kidnapper, wie?«
»Allerdings! Sie...«
»Bevor Sie weiterquasseln«,
wurde er von Eichberg unterbrochen, »muss ich Ihnen eine herbe Enttäuschung
bereiten. Ihr Coup ist ein Schlag ins Wasser. Aus der Erpressung wird nichts!
Und Sie glauben nicht, wie mich das freut! Sie gemeiner Kerl!«
»Was... was ist?«, stotterte
Schaudig. »Haben Sie nicht gelesen, was auf dem Zettel steht?«
»Ich habe alles gelesen«, wurde
er abermals unterbrochen. »Und ich bin heilfroh, das kann ich Ihnen versichern,
dass es nicht mein Kind betrifft. Als Frau Friese den Zettel in ihrem
Kinderwagen fand, glaubte sie zunächst an einen Scherz! Woher sollte diese
mittellose, bedürftige Frau eine Million nehmen?! Wir dachten, irgendein
Scherzbold treibe seinen Schabernack und habe Ludmilla im Garten versteckt.
Erst viel später ging uns auf, dass es sich offenbar um eine Verwechselung
handelt. Und dass die Mitteilung für mich bestimmt ist. Aber, mein
Lieber, Sie haben sich vertan. Sie haben nicht Barbara
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