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Das Geheimnis der chinesischen Vase

Das Geheimnis der chinesischen Vase

Titel: Das Geheimnis der chinesischen Vase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Gedächtnisses — hatte
das schlankweg vergessen.
    Jetzt mussten die Beine
nachholen, was der Kopf versäumt hatte, denn sein Vater brauchte das Geld
unbedingt. Noch mit dem Nachtzug reiste er zu einer mehrtägigen Vortragsreihe
ab, wobei allein fünf Universitäten auf seinem Programm standen. Und Professor
Vierstein hatte auf Reisen gern Bargeld in der Tasche — altmodischerweise.
    Eine Kirchturmuhr schlug.
    18 Uhr. O weh! Und er war noch
nicht am Ziel.
    Endlich erreichte er das
Eckgebäude, in dem die Bankfiliale untergebracht war. An vier Tagen in der
Woche schlossen die Schalter um 16 Uhr. Nur heute hatten sie bis 18 Uhr
geöffnet.
    Und trotzdem vergebens.
    Er rüttelte an der Eingangstür.
Sie war verschlossen, der Schalterraum dunkel — wie er durch die
einbruchsicheren Scheiben erkennen konnte.
    »So ein Mist! Ich Esel! Der
Professor wird toben! Was mache ich nur?«
    Erst mal nahm er seine Brille
ab und polierte die Gläser. Dann schob er sein Rad um die Ecke, lehnte es an
einen Pfahl und trocknete sich den Schweiß vom Gesicht.
    An der Schmalseite des Gebäudes
öffnete sich eine Tür. Eine Frau trat heraus.
    »Fräulein Hübner!« Karl brüllte
fast. »Gott sei Dank, dass Sie noch da sind! Ich brauche unbedingt Geld.«
    Er schwenkte das
Abhebeformular.
    Regina Hübner lächelte. Sie
kannte Karl schon lange — wie überhaupt die ganze Familie Vierstein.
    »Da kommst du aber reichlich
spät, Karl.«
    »Ich weiß. Hab’s glattweg
vergessen. Aber mein Vater verreist. Deshalb...«
    Er hielt ihr das Formular hin.
    »Tja! Weißt du Karl, ich würde
ja gern helfen. Aber das ganze Geld ist im Tresor. Und eben habe ich die
Alarmanlage eingeschaltet. Neuerdings«, sie lachte, »sind wir modernstens
eingerichtet. Das bedeutet: Erst Montag Früh um acht Uhr schaltet sich die
Alarmanlage aus. Vorher lässt sich der Tresor nicht mehr öffnen. Wer’s dennoch
versucht, löst den Alarm aus. In drei Minuten wäre das Überfallkommando hier.«
    Karl verzog das Gesicht, als
hätte er Zahnschmerzen.
    »Gibt es keine andere Möglichkeit?
Mein Vater könnte mir mit Recht was aufs Haupt geben.«
    Bittend sah er sie an.
    Regina Hübner war erst 30 Jahre
alt, wirkte aber viel älter, wie eine alte Jungfer, die — äußerlich — einfach
nichts aus sich machen kann. Sie trug die bravsten Kostüme in gedeckten Farben
und nur flache Absätze, obwohl sie fast winzig war. Und mager. Das kleine
Mausgesicht kannte nur Wasser und Seife. Ihren Mund hatte noch kein Lippenstift
berührt. Die nervösen Äuglein zwinkerten hinter einer randlosen Brille — mit
der sie aussah wie eine Gouvernante (Erzieherin) von 1910.
    »Tut mir Leid, Karl. Ich...«
    Plötzlich stockte sie.
Instinktiv presste sie ihre große und ziemlich abscheuliche Handtasche an sich.
    »Ja?« In Karl keimte Hoffnung.
    »Vielleicht... hm... kann ich
dir doch helfen. Wie viel brauchst du denn?«
    »Tausend mittelharte deutsche
Mark.«
    Sie nahm das Formular, das er
ihr zum zweiten Mal hinhielt, murmelte, er möge warten, schloss die Tür wieder
auf und verschwand dahinter.
    Ihre beiden Kollegen sind
sicherlich schon weg, dachte er und sah auf die Uhr.
    Es war 18.10 Uhr.
    Dann schlenderte er auf und ab
— dankbar, dass Fräulein Hübner, die Leiterin der kleinen Bankfiliale, doch
noch was möglich machte.
    Währenddessen befand Regina
sich in ihrem Büro. Durch die Milchglasscheiben konnte niemand hereinsehen.
Dennoch blickte sie verstohlen zum Fenster, als sie ihr Handtaschen-Monstrum (Ungeheuer) öffnete.
    Der Reißverschluss klemmte.
    Sie zerrte und zog, war mächtig
nervös und biss auf der Unterlippe herum. Endlich öffnete sich die Tasche so
weit, dass sie den dicken Umschlag herausnehmen konnte. Mit zitternden Fingern
öffnete sie ihn. Er enthielt 15 Geldbündel. Jedes zu 1000 Mark.
    »Dann muss sich Max eben mit
etwas weniger begnügen«, flüsterte sie in die Stille.
    Sie zählte den Betrag ab,
steckte ihn in ein anderes Kuvert, verschloss Professor Viersteins
Abhebeformular im Schreibtisch, verstaute ihre 14 000 wieder in der Handtasche
und verließ das Gebäude.
    Sie schloss sorgfältig ab. Karl
erhielt das Geld und strahlte. Am liebsten hätte er die graue Feldmaus umarmt.

    »Vielen Dank, Fräulein Hübner.
Das ist reizend von Ihnen. Also wirklich! Damit haben Sie mir sehr geholfen.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.«
    »Danke, Karl. Ich dir auch. Und
grüß deine Eltern!«
    Während er, das Geld unterm
Pullover, pfeifend zurückradelte, lief

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