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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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wunderte sich der Professor.
    »Warum denn nicht? Das geht doch mit jeder Art von Radio.«
    »Mein Bruder hat es damals für mich angeschafft, damit ich Englisch lernen konnte, deshalb dachte ich, es würden außer Konversationskursen gar keine anderen Sendungen laufen.«
    »Sie haben also nie ein Spiel der Tigers im Radio gehört?« fragte Root.
    »Na ja, so war das früher nun mal. Ein Fernsehgerät hatten wir auch nicht. Deshalb habe ich auch noch nie ein Baseballspiel gesehen«, sagte der Professor zögerlich.
    »Das gibt es doch gar nicht!« platzte es aus Root heraus. Er war völlig perplex.
    »Aber ganz so ahnungslos bin ich auch nicht, ich kenne genau die Regeln«, beeilte sich der Professor zu sagen, als wolle er sich rechtfertigen, was jedoch nicht half, Root zu beruhigen.
    »Und wie konnten Sie dann ein Fan der Tigers werden?«
    »Oh, das war nicht schwer. Damals an der Universität bin ich in jeder Mittagspause in die Bibliothek gegangen, um die Sportzeitung zu lesen. Es gibt keine andere Sportart, die so viel mit Zahlen zu tun hat. Ich habe die Statistiken der Hanshin Tigers analysiert, ihre Trefferquoten sowie die persönlichen Leistungen der einzelnen Spieler. Anhand der Zahlen konnte ich mir den Verlauf eines jeden Spiels ausmalen.«
    »Und das fanden Sie spannend?«
    »Aber sicher! Dazu brauchte ich kein Radio. Ich konnte mir alles merken, bis ins kleinste Detail: Enatsus erster Sieg im Jahr 1967, als er gegen die Carps zehn Strikeouts hatte. Dann 1973, wo er während eines gesamten Spiels keinen einzigen Schlag der Gegner zugelassen hatte und dann selbst einen Homerun schlug.«
    Die Stimme des Reporters wurde lauter – Kasai wurde als erster Pitcher der Tigers angekündigt.
    »Ach, wann ist denn Enatsu an der Reihe?« wollte der Professor wissen.
    »Es dauert noch ein bisschen«, sagte Root, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Es verblüffte mich, wie erwachsen er sich benahm. Wir hatten verabredet, dass wir in Bezug auf Enatsu Notlügen erfinden würden, um den Professor in seinem Glauben zu lassen. Aber wohl war uns dabei nicht, zumal ich unsicher war, ob es zu seinem Wohle war, sein Leiden einfach zu ignorieren. Andererseits brachten wir es nicht übers Herz, ihn noch einmal zu enttäuschen.
    »Wir können sagen, dass Enatsu noch auf der Bank sitzt oder sich gerade warm macht«, hatte Root vorgeschlagen.
    Da Enatsus aktive Zeit lange vor seiner Geburt lag, war Root in die Bibliothek gegangen, um sich allerlei Informationen über ihn zu beschaffen. Enatsus Bilanz war außergewöhnlich, 206 Siege, 158 Niederlagen, 193-mal wurde er eingewechselt und sicherte den Sieg seiner Mannschaft. Insgesamt hatte er 2.987 gegnerische Schlagmänner ausgeworfen. Ihm gelang bereits bei seinem zweiten Auftritt als Profi ein Homerun. Für einen Pitcher hatte er zwar relativ kurze Finger, aber er warf seinen Erzrivalen Sadaharu Ô öfter aus als jeder andere Werfer und schlug die meisten Homeruns gegen ihn. 1968 stellte Enatsu den Weltrekord von 401 Strikeouts in einer Saison auf. 1975, genau in dem Jahr, als der Professor sein Gedächtnis verlor, wurde Enatsu an die Nankai Hawks verkauft.
    Root wollte sich ein genaues Bild von Enatsu machen, um auf dem gleichen Wissensstand zu sein wie der Professor, wenn der Jubel der Zuschauer aus dem Radio drang. Während ich mich mit seiner »Hausaufgabe« herumquälte, widmete Root sich dem »Enatsu-Problem«. Root hatte in der Bücherei sogar die
Illustrierte Chronik des Baseballs
ausgeliehen. Als ich eines Tages darin blätterte, machte ich eine wunderbare Entdeckung: Die Nummer auf Enatsus Trikot war die 28. Als er frisch von der Universität zu den Tigers kam, konnte er zwischen den drei noch nicht vergebenen Nummern wählen, und er hatte sich für die 28 entschieden. Enatsu war der Spieler mit einer vollkommenen Zahl auf dem Rücken.
    Am selben Tag präsentierten wir nach dem Abendessen unseren Lösungsversuch. Mit Schreibblock und Filzstift bewaffnet, standen wir vor dem Professor und verneigten uns.
    »Also, die Aufgabe, die Sie mir erteilt haben, lautet folgendermaßen: Zu welchem Ergebnis kommt man, wenn man die Zahlen von 1 bis 10 addiert …«, sagte Root mit ernster Miene. Er räusperte sich und notierte, während ich ihm den Block hielt, die Zahlen genauso, wie wir es am Vorabend besprochen hatten: die Ziffern 1 bis 9 in einer Reihe und dann, ein wenig abseits davon, die 10.
    »Die Lösung ist bekannt. Sie lautet 55. Ich habe die Zahlen addiert und die Summe

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