Das Geheimnis der Eulerschen Formel
sogar bis 10.000? Weil du ehrlich bist, wärest du damit beschäftigt, in einem fort Zahlen zu addieren, während der Lehrer sich kaputtlacht. Was würdest du dann tun?«
Root schüttelte ratlos den Kopf.
»Du darfst nicht zulassen, dass dieser Lehrer dich zum Narren hält. Du musst dich wehren.«
»Und was soll ich tun?«
»Du musst eine andere Methode finden, die Summe zu ermitteln, egal, wie groß die Zahl ist. Wenn du das geschafft hast, werde ich mit dir zusammen das Radio zur Reparatur bringen.«
»Das ist gemein. Unsere Verabredung lautete anders. Sie sind gemein, einfach nur gemein!«
Root stampfte mit dem Fuß auf.
»He, benimm dich gefälligst! Du bist doch kein Baby mehr!« Ich schimpfte mit meinem Sohn, doch der Professor reagierte ganz gelassen auf seinen Wutausbruch.
»Eine Aufgabe ist nicht damit erledigt, dass du die richtige Lösung gefunden hast. Es gibt noch einen anderen Weg, um auf 55 zu kommen. Willst du es nicht versuchen?«
»Nein, es ist mir egal …«, maulte er.
»Nun gut, dann schlage ich Folgendes vor: Das Radio ist alt, und wenn wir es heute abgeben, wird es wohl einige Tage dauern, bis es wieder funktioniert. Wir könnten einen Wettbewerb veranstalten. Ist das Radio repariert, bevor du auf eine andere Methode gekommen bist, oder umgekehrt?«
»Hm, aber ehrlich gesagt traue ich mir das nicht zu. Welche Methode sollte es denn geben, außer dass man die Zahlen von 1 bis 10 zusammenzählt …«
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Angsthase bist. Du gibst ja schon auf, bevor du es probiert hast.«
»Okay, ich versuche es. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich es herausbekomme, bevor das Radio fertig ist. Ich habe schließlich auch noch andere Sachen zu tun.«
»Fein«, sagte der Professor und strich ihm wie üblich über den Kopf. »Ach, so geht das aber nicht. Bei einer solch wichtigen Vereinbarung muss ich mir eine Notiz machen, damit ich es nicht vergesse.«
Er nahm ein Stück Papier, notierte mit einem Bleistift die wichtigsten Details und befestigte den Zettel mit einer Klammer am Saum seines Jacketts. Es war eine fast routinierte Geste, keine Spur von seiner sonstigen Unbeholfenheit im Alltag. Die neue Notiz fügte sich tadellos zwischen die anderen ein.
»Deine Hausaufgaben müssen aber erledigt sein, bevor das Baseballspiel beginnt. Während des Abendessens bleibt das Radio aus. Und du darfst den Professor nicht bei der Arbeit stören. Versprichst du mir das?«
Roots antwortete auf meine Ermahnungen mit einem beleidigten Grummeln.
»Das brauchst du mir nicht extra zu sagen. Dieses Jahr sind die Tigers ziemlich stark. Ganz anders als in den letzten beiden Jahren, wo sie Letzter geworden sind. Sie haben im Eröffnungsspiel sogar gegen die Giants gewonnen.«
»So, die Hanshin Tigers sind also in Form?« vergewisserte sich der Professor. »Wie sieht es denn mit Enatsus Leistungen aus? Wie viele Strikeouts hat er auf seinem Konto?«
Root zögerte kurz, bevor er antwortete:
»Enatsu wurde an einen anderen Verein verkauft. Das war aber noch vor meiner Geburt. Inzwischen hat er seine Karriere längst beendet.«
Der Professor schnappte nach Luft und saß dann wie gelähmt da. Ich hatte ihn noch nie so erschüttert erlebt. Bisher hatte er es immer mit Fassung getragen, wenn ihn sein Gedächtnis im Stich ließ, aber diesmal war es anders. Es war, als hätte er das Gesicht verloren. Als ich ihn so sah, vergaß ich sogar Root, der wegen seiner unbedachten Äußerung ebenfalls ganz erschrocken war.
»Aber als er dann für die Hiroshima Carps gespielt hat, war er der beste Spieler Japans.«
Ich hoffte, den Professor mit diesem Hinweis beruhigen zu können, er bewirkte jedoch das genaue Gegenteil.
»Hiroshima? Was soll das bedeuten? Wie könnte Enatsu etwas anderes tragen als das gestreifte Trikot von Hanshin?«
Er saß auf beide Ellbogen gestützt am Schreibtisch und raufte sich die frisch geschnittenen Haare. Einige rieselten sanft auf den Rechenblock. Diesmal strich Root ihm über den Kopf. Er streichelte seine zerzausten Haare, als wollte er seinen Fehler wiedergutmachen.
An diesem Abend gingen Root und ich schweigend nach Hause. Als ich ihn schließlich fragte, ob die Tigers heute spielten, gab er nur zögerlich Antwort.
»Gegen wen treten sie denn an?«
»Taiyo.«
»Und, werden sie gewinnen?«
»Keine Ahnung.«
Im Friseursalon, den wir am Mittag besucht hatten, brannte kein Licht mehr, und auch der Park lag im Dunkeln. Die in den Sand geschriebenen
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