Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
waren sie gelaufen, Tag für Tag gelaufen, bis es Miriamel vorgekommen war, als würden ihre Beine, wenn sie sie irgendwie vom Körper schrauben könnte, den Weg auch ohne sie fortsetzen. Cadrach war dieses Leben gewohnt, und er fand sich schnell wieder hinein, aber für Miriamel wurde es jeden Tag unerträglicher. Zwar würde sie nie wieder am Hof ihres Vaters leben können, aber selbst die erstickende Enge von Onkel Josuas Burg Naglimund erschien ihr plötzlich wesentlich verlockender als noch vor wenigen Monaten.
Unvermittelt drehte sie sich um, weil sie noch etwas Bissiges zu Cadrach sagen wollte – sie konnte den Wein in seinem Atem auf eine Armlänge riechen –, und sah seinen Gesichtsausdruck. Die Maske der Fröhlichkeit war von ihm abgeglitten. Die einst so runden, jetzt hohlen Wangen und die Schatten unter den unruhigen Augen dämpften ihren Zorn und verwandelten ihn in eine Art unwirsche Zuneigung.
»Also dann kommt.« Sie nahm seinen Arm. »Aber wenn Ihr dieses Haus nicht bald findet, stoße ich Euch in den Kanal.«
Weil sie sich die Überfahrt mit einem Bootsmann nicht leisten konnten, brauchten Cadrach und Miriamel fast den ganzen Vormittag, um sich durch den abschreckenden Irrgarten der hölzernen Laufstegevon Kwanitupul bis zum Torfkahn-Kai durchzuarbeiten. Es war, als führe jede Biegung sie in eine neue Sackgasse, die an einer verlassenen Bootswerft, vor einer verschlossenen Tür mit rostigen Angeln oder an einem wackligen Zaun endete, hinter dem nur ein weiterer Wasserweg lag. Enttäuscht kehrten sie dann wieder um und suchten eine neue Abzweigung, und die aufreibende Suche begann aufs Neue.
Endlich, als schon die Mittagssonne den wolkigen Himmel weiß malte, stolperten sie um die Ecke eines langgestreckten, sehr heruntergekommenen Lagerhauses und erkannten überrascht ein vom Salz verrottetes Holzschild, das die Herberge, vor der es hing, als Pelippas Schüssel auswies. Sie lag in der Tat, wie Cadrach warnend erwähnt hatte, in einer ziemlich üblen Gegend.
Während Cadrach die Tür suchte – die Vorderseite des Gebäudes zeigte eine einförmige Wand aus grauem, verwittertem Holz –, war Miriamel auf den vorderen Landungssteg der Herberge getreten und sah einem Kranz aus gelben und weißen Blumen nach, der unter der Leiter auf dem aufgewühlten Kanal schwamm.
»Das ist ja ein Seelentagskranz«, sagte sie.
Cadrach, der die Tür gefunden hatte, nickte.
»Das heißt, dass über vier Monate vergangen sind, seit ich Naglimund verließ«, bemerkte Miriamel langsam. Der Mönch nickte wieder, zog die Tür auf und winkte ihr. Miriamel wurde von einem Schwall wilden Grams erfasst. »Und es war alles umsonst! Weil ich ein eigensinniger Dummkopf war!«
»Es wäre nichts besser geworden, vielleicht sogar vieles schlechter, wenn Ihr bei Eurem Onkel geblieben wärt«, erwiderte Cadrach. »Wenigstens seid Ihr am Leben. Nun wollen wir aber hineingehen und nachschauen, ob Soria Xorastra sich an einen alten, wenn auch leicht heruntergekommenen Freund erinnert.«
Sie betraten die Herberge durch den Torhof, vorbei an den verwitternden Rümpfen zweier Fischerboote, und erlebten dann sehr schnell gleich zwei unangenehme Überraschungen. Die erste war, dass die Herberge verwahrlost wirkte und unverkennbar nach Fisch stank, die zweite, dass Xorastra seit drei Jahren tot war. Ihre Nichte Charystra mit dem spitzen Kinn erwies sich als eine ganz andere Art Herbergsmutter als ihre Vorgängerin.
Sie starrte ihre abgewetzte, vom Reisestaub befleckte Kleidung an und meinte nur: »Euer Aussehen gefällt mir nicht. Zeigt mir Euer Geld.«
»Nun, nun«, antwortete Cadrach so besänftigend, wie er konnte. »Eure Tante war eine gute Freundin von mir. Wenn Ihr uns heute Nacht ein Bett gebt, werden wir morgen Geld haben, Euch zu bezahlen – ich bin wohlbekannt in dieser Stadt.«
»Meine Tante war verrückt und zu nichts nutze«, erwiderte Charystra nicht ohne eine gewisse Befriedigung. »Ihre stinkende Wohltätigkeit ist schuld, dass mir nichts als dieser baufällige Schuppen geblieben ist.« Sie zeigte auf den niedrigen Schankraum, der mehr an den Bau eines verängstigten Tiers erinnerte. »Der Tag, an dem ich einen Mönch und seine Dirne hier umsonst schlafen lasse, wird der Tag sein, an dem sie mich in einer Holzkiste nach Perdruin zurückschaffen.«
Miriamel konnte eine gewisse Genugtuung bei diesem Gedanken nicht leugnen, hütete sich jedoch, es die Wirtin merken zu lassen. »Es ist nicht so, wie Ihr glaubt«,
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