Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis der Hebamme

Titel: Das Geheimnis der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
Vom Netzwerk:
heute auch schon ein paar Regeln gebrochen?«
    Als Lukas nichts sagte, fuhr sie eindringlicher fort: »Seht ihn Euch an, Herr! Er muss aus den nassen Sachen heraus. Und ich muss sehen, was sie ihm noch alles angetan haben und ob Knochen gebrochen sind.«
    »Gut. Aber dreh dich um, bis ich dich rufe«, entschied Lukas.
    Marthe griff nach einem Krug, der auf dem Boden der Hütte lag, und ging zum Fluss, um Wasser zu holen. Im Gehen hörte sie Lukas vor sich hin murmeln: »Ich habe wirklich noch nie jemanden kennen gelernt wie sie.«
    Als sie mit dem Wasser zurückkam, fragte sie von draußen sicherheitshalber: »Darf ich hereinkommen?«
    Von drinnen kam ein knappes »Hm«.
    Sie trat ein und schnappte nach Luft, als sie erkannte, was Lukas so wortkarg gemacht hatte. Selbst im Dämmerlicht der Hütte sah Christians Körper erschreckend aus. Er hatte noch alle Gliedmaßen; dafür mussten sie dankbar sein. Aber über den gesamten Oberkörper waren Brandmale verteilt, von denen die meisten nässten. Viele Wunden eiterten. Dunkle Blutergüsse auf dem Brustkorb deuteten darauf hin, dass eine oder mehrere Rippen gebrochen sein konnten, sein rechtes Knie war fast auf den doppelten Umfang angeschwollen.
    »Dieses Ungeheuer«, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
    »Dafür soll Randolf im Höllenfeuer schmoren«, sagte Lukas hasserfüllt.
    Marthe riss sich zusammen. Mitleid würde Christian nicht helfen. Vorsichtig begann sie, die Wunden auszuwaschen. Lukas blickte sich in der Hütte um. Es gab keine Herdstelle, aber in der Mitte einen Kreis aus Steinen auf dem nackten Boden. Er suchte ein paar trockene Zweige zusammen, die in einer Ecke herumlagen, schichtete sie übereinander und entzündete sie.
    Am dritten Abend sagte Marthe: »Wenn heute Nacht das Fieber fällt, überlebt er.«
    Sie versuchte, jede Verzweiflung aus ihrer Stimme herauszuhalten. Doch Lukas konnte sie nichts vormachen.
    Sie hatte zwei gebrochene Finger gerichtet und die Wunde auf der Stirn genäht. Das Knie schwoll ab, die meisten Brandwunden begannen sauber zu verschorfen, statt weiter zu nässen und zu eitern. Weil sie keine hustenlindernden Salben auf die offene Haut seiner Brust auftragen konnte, hatte sie ein mit Thymiansud getränktes Tuch über das Krankenlager gehängt. Der kräftige Geruch füllte die ganze Hütte.
    Doch das Fieber fiel und stieg. In den vergangenen Tagen hatte Christian nur gelegentlich für kurze Zeit das Bewusstsein wiedererlangt – immerhin lange genug, um ihm Wasser einzuflößen, in das sie fiebersenkende Tinkturen gemischt hatte.
    Sie hoffte auf die heilende Wirkung des Schlafes. Am Morgen war Christian zum ersten Mal für längere Zeit zu sich gekommen, hatte von ihr etwas Fleischbrühe bekommen und auch bei sich behalten. Doch am Nachmittag war das Fieber mit verzehrender Wucht zurückgekehrt.
    »Es könnte eine Heilkrise sein«, versuchte sie Lukas zu beruhigen, während sie ein Tuch auswrang, um die Umschläge zu erneuern. »Das letzte Aufbäumen der Krankheit, bevor sie sich zurückzieht.«
    »Vielleicht«, gab er mit finsterer Miene zurück.
    Dann stand er auf, zog sie mit beiden Armen vom Krankenlager weg und schob sie zu ihrer eigenen Schlafstatt. »Du bist völlig erschöpft. Wenn diese Nacht so schlimm werden sollte, wie du befürchtest, musst du ausgeruht sein. Also schlaf jetzt ein bisschen. Ich kümmere mich um ihn.«
    Marthe widersprach nicht. »Weckt mich, wenn etwas ist«,murmelte sie. Dann rollte sie sich in einer Ecke am Boden zusammen und fiel fast sofort in tiefen Schlaf.
     
    Sie hatte das Gefühl, nur wenige Augenblicke geschlafen zu haben, als Lukas sie an der Schulter rüttelte. Erschrocken fuhr sie hoch.
    »Er ruft dauernd im Schlaf nach dir«, flüsterte Lukas beklommen.
    Rasch stand sie auf. Sie musste sich kurz an einem Balken abstützen, weil ihr schwindlig wurde.
    Sie legte eine Hand auf Christians Stirn, die im Fieber glühte, und ließ die Schultern hängen. Allmählich war sie am Ende ihrer Fähigkeiten angekommen.
    Christian war stark, bisher hatte er noch nie aufgegeben. So grausam die Spuren der Folter auch waren – sein kräftiger Körper sollte damit fertig werden. Was hielt ihn davon ab, ins Leben zurückzukehren? Es waren nicht die sichtbaren Verletzungen, dessen war sie sich sicher.
    »Kämpft«, beschwor sie ihn leise. »Ihr habt doch immer gekämpft – warum kämpft Ihr nicht um Euer Leben? Wir brauchen Euch!«
    Sie wandte sich ab, um kühles Wasser für neue Umschläge zu holen.

Weitere Kostenlose Bücher