Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
und alle anderen …« Das erinnerte sie plötzlich an ein Gespräch, das sie in Ninas Zimmer in der Nacht des Einbruchs gehabt hatten. Worüber hatten sie genau gesprochen? Die Lösung lag da, Tam war sich ganz sicher.
»Ist es eine Schutz-Göttin?«, hatte Tam gefragt und auf die Figur der Jungfrau Maria gezeigt. Die Königin hatte dasselbe von Kwan Yin gesagt: »Es ist eine Schutz-Göttin.« Und Nina hatte bemerkt: »Ich habe zwei Figuren, die eine hat mir meine Mutter geschenkt und die andere mein Vater.«
Die Sätze schlugen Saltos in Tams Kopf. Sie las noch einmal: FRAHG DIE JUNGFRAU MARIA.
Wo hatte Paul d’Armand in Hué eine Figur der Jungfrau Maria aufgetrieben?
»Tam? Ich werde bei den Tempeln suchen, oben an der Treppe.«
Tam fuhr zusammen und wischte schnell die Botschaft vom Porträt. Es wurde Zeit. Wenji stand schon hinter ihr.
»Dort gibt es noch ein paar Gebäude. Vielleicht hat sie sich dort versteckt und ist eingeschlafen.«
»Mhmm«, murmelte Tam und fuhr sich ostentativ mit der Hand an den Kopf.
»Was ist los?«, fragte Wenji besorgt.
»Ich bin erschöpft. Ich fühle mich nicht gut.«
»Kein Wunder, du hast die Nacht über nicht geschlafen! Nimm die Dschunke, fahr nach Hué und sag den Matrosen, dass sie wieder zurückkommen sollen, um mich zu holen.«
»Gern. Ich glaube, dass ich Ihnen hier nicht viel helfen würde.«
»Mach dich schnell auf den Weg. Ich komme klar.«
Tam versuchte, nicht zu rennen. Sie nahm eine wehleidige Miene an, verließ den Pavillon, um sich am Teich entlang in Richtung Vorhalle zu begeben, und tat so, als würde sie vor Erschöpfung taumeln.
Auf halbem Weg blieb sie stehen. Auf der großen bemoosten Treppe war jemand. Eine geschmeidige und zarte Gestalt, mit einer Hose und einer schwarzen Tunika bekleidet, der Kopf war ebenfalls mit einem schwarzen Tuch verhüllt.
»Der Einbrecher!«
Wenji hatte Tam schreien hören. Mit zwei Schritten war er an ihrer Seite. Der »Einbrecher« hatte sie auch gehört. Die Gestalt in Schwarz drehte sich um, erblickte das Mädchen und den jungen Mann, stieg die Treppe hinunter und ging ruhigen Schrittes auf sie zu.
Wenji verneigte sich voller Respekt.
»Majestät.«
Der Einbrecher zog das Tuch herunter, das ihm als Verhüllung diente. Das Gesicht der Königin Phuong tauchte auf. Tam öffnete vor Verblüffung den Mund. Es war also wirklich die Königin, die nachts die Villa Henriette als Dieb betreten hatte. Und Tam war ihr nachts durch den Park hinterhergelaufen.
»Sie sind Teng Wenji, nicht wahr«, sagte die Königin zu dem jungen Chinesen mit derselben Feierlichkeit, als befänden sie sich in Festkleidung im Thronsaal.
»Ihnen zu Diensten, Majestät.«
»Wenn Sie meinen, was Sie sagen, ist tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, mir zu Diensten zu sein.«
»Sie können an meine Treue glauben. Ich missbillige Ihre Pläne, aber ich werde Sie nicht verraten. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit Sie Ihr Eigentum zurückbekommen.«
»Ich vertraue Ihnen, Monsieur Teng. Zumindest kann man sagen, dass wir einen gemeinsamen Feind haben. Dieser dicke Mann mit dem Gesicht eines Büffels und seine Frau mit dem widerwärtigen Atem sind für das Verschwinden der Figur verantwortlich, dessen bin ich mir sicher.«
»Majestät«, mischte sich Tam ein, ohne sich über die Regeln der Höflichkeit Gedanken zu machen. »Es gibt im Moment Dringenderes als die Madonna aus Jade. Nina ist in Gefahr.«
»Nina? Aber wo ist sie?«, fragte die Königin besorgt.
»Ich suche sie«, antwortete Wenji. »Sie ist geflohen, weil …«
Wenji unterbrach sich. Es hatte keinen Sinn, der Königin zu erklären, wie sich Mademoiselle d’Armand, die elegante und selbstsichere junge Dame, in ein kopflos gewordenes und in Schrecken versetztes junges Mädchen verwandelt hatte, das panische Angst vor dem Waisenhaus hatte.
»Ich werde Ihnen die Einzelheiten später erzählen. Auf jeden Fall denken wir, dass sie hierhergekommen ist, um Zuflucht zu suchen.«
»Möge Kwan Yin sie beschützen!«, rief die Königin Phuong aus. »Dieser boshafte Morton ist hier auch irgendwo. Ich habe ihn gestern abend gesehen. Ich bin eben in dieser Verkleidung zurückgekommen, um herauszufinden, was er im Morgengrauen in den Grabstätten treibt.«
Sie ließ ihre Hand in einem gekreuzten Zipfel ihrer Tunika verschwinden und holte eine Taschenlampe hervor.
»Haben Sie eine Waffe, Monsieur Teng?«
»Ich habe alles, was man braucht«, antwortete Wenji ohne zu
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